0552 - Gefangene der bösen Träume
ins Hafenbecken schubsen.
Zamorra folgte ihm schmunzelnd. Der Anzug war zwar ruiniert, aber wenn Nicole meinte, einkaufen zu müssen, konnte Zamorra das ja ebenfalls tun und sich neu ausstaffieren. Daß dadurch die allgemeine Konto-Belastung nicht geringer wurde, bewegte sich im Moment außerhalb seines Denkens. Und war zudem irrelevant.
Sie verließen den Hafenbereich wieder. Fenrir, dessen Fell in der Sonne allmählich trocknete, ohne deshalb weniger feucht zu stinken, lief gemächlich vor Zamorra her. Der blieb an einem Kiosk stehen, weil sein Blick auf die Schlagzeilen einer Zeitung gefallen war.
Er kaufte das Blatt.
He, da kann's noch nicht drinstehen, meldete sich Fenrir.
»Was?« fragte Zamorra irritiert.
Na, das mit dem gewässerten Parapsychologen! Wenns schon drinsteht, ist es Science-fiction: dann wird die Zeitung erst morgen gedruckt! Sag mal, könnte das ein Zeitparadoxon sein ?
»Blödsinn«, murmelte Zamorra. Er überflog den Artikel.
In der vergangenen Nacht hatten angeblich gleich ein paar hundert Menschen - mit Kleinigkeiten schien sich die Gazette nicht abgeben zu wollen -einen Drachen gesehen. Hoch am Sternenhimmel über Cardiff und leuchtend war er nach einem gewitterlosen Blitzschlag erschienen und dann davongeflogen.
Zamorra riß Artikel und Impressum aus der Zeitung, gab den Rest an den Kioskpächter zurück und schüttelte den Kopf.
Hatte er nicht vor gerade mal einer halben Stunde noch gehofft, etwas würde geschehen, das den von Nicole geplanten Einkaufstrip in London verhinderte?
Und jetzt stand etwas von einem Drachen in der Zeitung!
Ausgerechnet von einem Drachen…
***
Derweil tauchte ein kleiner Drache in der südenglischen Grafschaft Dorset auf.
Fooly hatte beschlossen, die gerade in Merlins Burg angepflanzten Regenbogenblumen noch nicht zu benutzen. Erstens war es fraglich, ob sie bereits als »Empfänger« funktionierten, und zweitens besaß er durchaus genug Feingefühl, nicht ungebeten bei dem Zauberer von Avalon aufzukreuzen. Bei den Ereignissen im Château Montagne hatte Fooly zwar den Eindruck gewonnen, daß Merlin wesentlich umgänglicher war, als sein Ruf vermuten ließ. Auch schien er vor allem dem Jungdrachen gegenüber etwas aufgeschlossener als dem Rest der Welt. Doch Fooly wollte nichts überstürzen. Es konnte ja sein, daß er den Weißbart falsch eingeschätzt hatte.
William hatte dem Jungdrachen verraten, daß es im Cottage, einem Zamorra seit vielen Jahren gehörenden Landhaus, Regenbogenblumen gab. Also hatte er sich dorthin versetzen lassen. Es war das erste Mal, daß er selbst diese Blumen benutzte, nachdem die Insektenäugigen ihn mittels dieser magischen Pflanzen aus dem Drachenland entführt hatten, um seinen mittlerweile verstorbenen Elter zu einem Angriff auf Zamorras Château zu erpressen. Jene Insektenäugigen, die Fooly sehen konnte, die für die Menschen jedoch unsichtbar waren… [2]
Fooly versuchte sich zu orientieren. Es fiel ihm schwer. Denn jetzt, bei Tage, war der Drache nicht mehr zu spüren, dessen Präsenz er in der Nacht in Frankreich wahrgenommen hatte. Dabei war Fooly jetzt schon viel näher dran…
Aber er fand keinen Kontakt. Zumindest nicht in der Form, in welcher er ihn erwartet hatte.
Mußte er etwa bis zur kommenden Nacht warten, um diesen bislang recht einseitigen Kontakt wieder aufnehmen zu können?
Fast sah es so aus…
Aber bis dahin konnte er sich seinem Ziel ja weiter nähern. Er breitete die Schwingen aus und flog in Richtung Wales.
Von Südengland aus war es zumindest nicht mehr ganz so weit und strapaziös wie von Südostfrankreich aus…
***
Ein Werwolf, dachte Bo Vinerich.
Einen Werwolf hatte er bisher noch nicht verwendet. Auch keine Schmetterlingselfen - worum auch immer es sich dabei handeln mochte. Der Begriff ging ihm nur gerade so durch den Kopf, und schon formten sich Wörter zu Zeilen, zu Versen. Der stählerne Wolf, die zarten Flügel. Vielleicht ließ sich daraus etwas machen.
Werwolf, Lykanthropie. Die Fähigkeit eines Menschen, sich in die Gestalt eines Tieres, eines Wolfes, zu verwandeln. Loup garou.
In Frankreich, als er an der Sorbonne studierte, hatte er darüber seine Examensarbeit geschrieben. Lykanthropie, Träume, Traumgestaltung… Wunschvorstellungen, die Wirklichkeit wurden…
Seine Arbeit war nicht anerkannt worden.
Er habe bei einem bekannten Parapsychologen abgeschrieben, hieß es.
Das war lächerlich.
Er brauchte nicht abzuschreiben. Bei keinem Parapsychologen. Bei
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