0552 - Gefangene der bösen Träume
niemandem. Seine eigene Fantasie reichte völlig aus. Er konnte sich Dinge vorstellen, an die kein Mensch außer ihm zu denken in der Lage war. Er hätte ganze Welten erschaffen können, nur mit der Kraft seiner Gedanken, wenn man ihn nur ließe.
Dieser Professor, der Vinerichs Arbeit abgelehnt hatte - ein Ignorant. Ein verdammter Trottel, der mit seiner bösen Anschuldigung die Karriere eines Studenten vernichtet hatte.
Dafür hatte dieser Student nun eine andere Karriere aufgegriffen.
Er hatte früher schon Lieder geschrieben. Daß er mit den anderen Musikern zusammengetroffen war, daß aus ihnen eine Band geworden war, die »Märchenerzähler«, war nur eine zwangsläufige Folge gewesen.
Die »Fairy Tellers« sammelten Applause, Erfolge und Gagen. Allein als Songschreiber der Band verdiente Vinerich mittlerweile mehr, als er in einem examinierten Beruf jemals erreichen könnte. Und das nur bei den Live-Auftritten. Wieviel mehr könnte es sein, wenn er seine Träume verkaufen und einer CD zustimmen würde? Oder mehreren CD’s? Immerhin war seine Fantasie unerschöpflich und der Einfallsreichtum der Komponisten gewaltig.
Aber das Geld interessierte ihn nicht.
Wenn es nur zum Leben reichte, genügte ihm das. Zum Leben und zum Kauf von Papier und Stiften, mit denen er seine Ideen niederschrieb.
Träume zu verwirklichen, das war sein Leben. Träumen in Liedern Gestalt zu geben.
Und jetzt dachte er daran, einen stählernen Werwolf in das große Märchen einzubringen, in diese »unendliche Geschichte«, und er dachte an Elfen mit Schmetterlingsflügeln.
Er sah aus dem Fenster seines Hotelzimmers nach unten auf die Straße -und er sah den Mann und den Wolf!
***
Ein paar Straßen weiter, irgendwo in der Mitte des Weges zwischen dem Hafen und dem Hotel, in dem Nicole und Zamorra samt Wolf abgestiegen waren, fielen dem Parapsychologen zwei andere Zeitungen auf, die an einem Kiosk zum Verkauf aushingen. Sie sahen etwas seriöser aus als die, die er vorhin erstanden hatte.
Aber beide erwähnten in ihren Schlagzeilen ebenfalls die nächtliche Erscheinung eines Drachen.
Zamorra sah jedoch auch ein Veranstaltungsplakat, das sein Interesse weckte.
»THE FAIRY TELLERS«
»CAPTURED IN VICIOUS DREAMS«
Dem Namen der Band und des Kon zertthemas, »Die Märchenerzähler - Gefangen in bösen Träumen«, folgten die üblichen Veranstaltungshinweise. Illustriert wurde das Plakat mit einem recht bizarr gezeichneten Ritter auf einem Einhorn, der gegen einen bösartig aussehenden, feuerspeienden Drachen focht, um ein spärlich bekleidetes Mädchen vor dem Ungeheuer zu retten. Das Ganze wurde umgeben von Totenschädel-Motiven, magischen Symbolen und Notenschlüsseln.
Motiv und Text des Plakates hätten Zamorra wohl kaum berührt; Rock-Shows dieser Art gab es hin und wieder, und daß eine Gruppe ausgerechnet jetzt in Cardiff gastierte, wo Zamorra sich ebenfalls hier befand, war sicher ein Zufall. Woher sollte er auch ahnen, wieviel mehr hinter der Show der »Fairy Tellers« stand?
Was Zamorra den Atem raubte, waren jene magischen Symbole.
Sie waren echt!
Er konnte ihre Bedeutung nicht auf Anhieb erkennen, doch er wußte, daß sie echt waren, daß sie eine magische Bedeutung hatten.
Welche auch immer…
Magie! Märchenerzähler!
Gefangen in bösen Träumen!
Ein leuchtender Drache am Nachthimmel über Cardiff!
Da mußte es eine Verbindung geben!
***
Vinerich starrte sie an. Mann und Wolf kamen auf das Hotel zu, der durchtrainiert erscheinende Mittdreißiger hatte ein paar zusammengerollte Zeitungen in der Hand.
Und Vinerich glaubte ihn zu kennen.
Und der Wolf?
War es wirklich ein Wolf oder nur ein Hund, der wie ein Wolf aussah?
Sicher! Wie sollte ein Wolf sich so zahm und friedlich einem Menschen anschließen?
Es war eher der Mensch, der Vinerich irritierte. Er weckte Erinnerungen in ihm, die noch gar nicht sehr lange zurücklagen. Wie auch, war Vinerich doch gerade mal dreiundzwanzig Jahre jung.
Erinnerungen an die Sorbonne. An sein Studium im Ausland, in Frankreich…
Wieso kamen diese Erinnerungen gerade jetzt, in dieser Nacht und an diesem Tag? Hatte das vielleicht eine Bedeutung, die sich ihm jetzt noch entzog?
Oder war es nur eine Täuschung?
Mann und Wolfshund… Er wußte nicht, ob der Professor einen Hund besaß. Vinerich hatte damals seine Vorlesung besucht, er hatte sich auch mit Werk und Wirken des Professors eingehend befaßt - vielleicht sogar etwas zu eingehend. Aber alles Private dieses
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