0554 - Sie kam von den Sternen
Sichtschutz boten, so daß die Sternen-Prinzessin und ihr junger Begleiter aus der Tiefe der Häuserschluchten nur schwerlich zu erkennen waren.
Sie aber flogen weiter…
Stießen hinein in den Dunst, umkreisten die Stadt auf der blanken Messerklinge, und Kevin Long wußte nicht mehr, was er von dieser Reise halten sollte.
Gestern, als er aus seinem Elternhaus geflüchtet war, da hatte er es noch als großes Abenteuer empfunden. Das war nun anders geworden. Er mochte nicht mehr bei ihr bleiben, sie faszinierte ihn auch nicht, sondern stieß ihn schon ab.
Noch etwas kam hinzu.
Er fühlte sich mies, innerlich ausgelaugt, als hätte man ihm ein Stück seiner Seele genommen. Es war alles so schrecklich, er fand keine Erklärung, nur wenn er hin und wieder über sein Gesicht strich, bekam er den Eindruck, als hätte sich dort etwas verändert.
Hätte man ihn gefragt, es wäre ihm unmöglich gewesen, eine genaue Auskunft zu geben. Vielleicht war seine Nase etwas gewachsen, die Haut eingefallen, nicht mehr so frisch wie sonst. Auch das Haar fühlte sich anders an.
Als Elfjähriger war es ihm unmöglich, sich genau auszudrücken.
So fragte er mit der Naivität eines Kindes die vor ihm hockende Sternen-Prinzessin. »Was hast du denn mit mir gemacht, Consuela?«
»Wieso?«
»Du hast etwas getan, das spüre ich genau.«
»Nein!«
»Doch, ich bin anders.«
Sie drehte sich auf der Klinge und ging dabei geschmeidig in die Hocke. Ihr Lächeln war falsch, das merkte Kevin mit dem sicheren Instinkt des Kindes. Diese Person meinte es nicht ehrlich mit ihm, deshalb wich er auch zurück.
Consuela streckte ihm die Hand entgegen.
»Nein, nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Ich will nicht mehr. Ich will hier weg.«
»Aber es geht dir gut. Ich brauche dich noch. Du hast mich gelockt. Unsere Gedanken haben sich gekreuzt. Nur deshalb bin ich überhaupt auf dich gekommen, Liebling.«
»Ich will zu meinen Eltern!« Kevin hatte den Satz trotzig ausgesprochen und trat noch mit dem Fuß auf. »Ja, ich will zu meinen Eltern und nicht mehr länger bei dir bleiben.«
»Du hast deine Eltern verlassen.«
»Es sollte nur ein Abenteuer werden.«
»Ist es das denn nicht?« säuselte Consuela.
»Nein, nicht mehr. Jetzt habe ich Angst. Große Angst sogar.«
»Die gehört dazu, wenn man Abenteuer erlebt, mein kleiner Liebling. Die Angst muß sein.«
»Ich will aber nicht.«
»Das wird schon klappen, warte nur ab. Wir beide haben noch viele Abenteuer vor uns. Du bist meine Sicherheit, mein Garant für das weitere Leben. Du bist jung, Kevin, das brauche ich. Erst wollte ich den Sohn des Lichts haben, doch ich spürte, daß er sich gegen mich stellte. Nun müssen wir beide allein kämpfen.«
Auf der Stelle machte er kehrt. Die blanke Messerfläche gab sein Spiegelbild blaß wieder. Es sah aus wie ein in die Länge gezogener Schatten. Kevin starrte in den Himmel. Dünne Wolken Umtrieben sie. Sie brachten Kühle und Feuchtigkeit mit, die sich auf seine Haut legten und sich in den Augen mit dem Tränenwasser vermischten.
»Wenn du mich nicht…« Kevin holte noch einmal tief Luft. »Also wenn du mich nicht runterläßt, dann springe ich selbst in die Tiefe. Ich will hier weg, ich will es…«
»Bitte, spring!«
Kevin schrak zusammen. Damit hatte er nicht gerechnet. Fassungslos starrte er in Consuelas Gesicht. »Du… du würdest mich tatsächlich springen lassen?«
»Sicher!«
Unglaube zeichnete sich auf den Zügen des Jungen ab. Er bewegte seinen Mund, ohne zu sprechen, sah wieder das falsche Lächeln und schaute über den Rand der Klinge hinweg.
Nur schwach erkannte er die Spitze der Gebäude, weil die dünnen Wolken wie auseinandergezogene Wartestreifen vorbeizogen. Beim ersten Hinsehen hatte ihn das Gefühl einer trügerischen Sicherheit überkommen. Vielleicht hielten ihn die Wolken fest, sie erinnerten ihn an eine Decke. Er zuckte zusammen, als ihn Consuela berührte.
»Wolltest du nicht springen, Junge?«
»Ja, aber…«
»Kein Aber. Bitte, versuche es!«
Kevin, der schon ziemlich dicht am Rand stand, wollte sich wieder zurückziehen. Das ließ die Sternen-Prinzessin nicht zu. Ihr Gegendruck hielt ihn auf der Stelle.
»Na, mein Kleiner?«
»Laß mich doch frei – bitte!« Kevin bettelte. Seine Stimme hätte einen Stein erweicht, nicht Consuela. Sie gab ein rauhes Lachen von sich – und stieß ihn vor.
Das war Mord an einem Kind!
Allerdings nur, wenn es dazu gekommen wäre. Kevin kippte zwar über die Kante des
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