056 - Der Werwolf
Sturm auf das Haus?“ fragte der Arzt halblaut.
„Auf etwas Ähnliches wird es hinauslaufen.“
„Oder wollen Sie den Wolf auffordern, sich zu ergeben?“ murmelte Gerd.
„Wohl kaum. Wir werden das Grundstück ausleuchten und dann auf ihn schießen.“
„Viel Erfolg!“ meinte Gerd ironisch und blieb neben den Wagen stehen.
Hartmann ließ sich von einigen Beamten berichten und langte dann ins Innere des Wagens. Er ließ sich ein Mikrophon geben und sagte: „Hier spricht Hartmann. Wir versuchen jetzt, von vorn in die Ruine einzudringen. Vielleicht locken wir den Wolf aus der Deckung, dann erschießen wir ihn.
Achtung am Bach und an den Grundstücksgrenzen. Das Tier darf auf keinen Fall ausbrechen. Laßt die Hunde frei, sobald es notwendig wird!“
„Verstanden!“
Hartmann erklärte dem Arzt, was er aufgeboten hatte, um die Aktion planmäßig abrollen zu lassen. Siebzig Beamte und zwanzig Hilfskräfte standen bereit. Entlang des Baches waren Netze aufgespannt worden, die den Killerwolf an der Flucht hindern sollten, falls er einen Ausbruch versuchte.
Die Grenzen zu den Nachbargrundstücken waren durch intakte Zäune gesichert, außerdem waren überall Beamte postiert, die man mit Gewehren ausgerüstet hatte und durch Jäger und Scharfschützen unterstützt wurden. Kommissar Hartmann wollte kein Risiko mehr eingehen.
„Ich bin beeindruckt!“ gestand Gerd. „Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich hier bin?“
Hartmanns Antwort überraschte ihn.
„Nein. Ich glaube, Sie geben einen hervorragenden Köder ab. Gut, daß Sie Frau Franke zu Hause gelassen haben.“
„Ich, einen Köder?“
„Ja. Der Wolf haßt Sie mehr als Delius. Wenigstens ist das Ihre Version!“
Gerd grinste Hartmann etwas verzerrt an. Er fühlte sich fast krank vor Spannung.
„Jetzt sind Sie es, der an Werwölfe glaubt!“
„Richtig!“
Hartmann hob die Hand. Einige Wagen fuhren zurück und gruppierten sich so, daß ihre Scheinwerfer auf die Front des Grundstücks gerichtet waren. Ein Teil der Männer zog sich auf die gegenüberliegende Straßenseite zurück. Die scharfen Hunde verhielten sich ruhig und knurrten nur.
Hartmann winkte drei Polizisten und einem Jäger in grüner Montur.
„Wir gehen jetzt hinein!“ sagte Hartmann, zog seine Dienstwaffe und entsicherte sie. „Die Kollegen dort halten die Scheinwerfer!“
„In Ordnung.“
Gewehre wurden entsichert und gespannt, tragbare Scheinwerfer eingeschaltet. Sie bestrichen mit ihren Lichtkreisen den Zaun, die Löcher darin und das mannshohe Unkraut, das sich jenseits des Zaunes bis zum Haus erstreckte. Mit einigen Fußtritten sprengten die Polizisten das morsche Tor auf, das fast geräuschlos in die wild wuchernden Pflanzen kippte.
Die Schützen zogen sich auseinander, bis zwischen ihnen ein Abstand von jeweils zwei Metern war. Gerd blieb neben dem Kommissar und spannte den Hahn seiner Waffe. Er hatte noch fünf Schuß in der Trommel.
„Vorsicht!“ warnte Hartmann. „Er kann rechts oder links ausbrechen!“
Neben der gewaltsam geschaffenen Öffnung im Zaun nahmen Beamte mit Hunden Aufstellung.
Die Tiere zerrten wie rasend an ihren Leinen, gaben aber keinen Laut von sich, Kommissar Hartmann blieb stehen, sie waren etwa noch zehn Meter vom Haus entfernt, dessen Fassade in dem unruhigen Licht an ein Spukschloß erinnerte, das vom Boden bis zur Dachrinne mit absterbenden Ranken bedeckt war. Die Fenster schienen die Näherkommenden höhnisch anzustarren. Alle Scheiben waren zertrümmert und bildeten zackige Muster. Von dem Haus ging ein Geruch nach Fäulnis und Verwesung aus.
„Ich höre nichts!“ sagte Hartmann. „Das Vieh muß sich versteckt halten!“
„Vermutlich“, sagte Gerd. „Bedenken Sie, der Wolf wird von einem kranken menschlichen Verstand geleitet. Er sucht Schutz in einer Höhle. Ein Versuch der Rückkehr in den Mutterleib.“
Hartmann knurrte etwas Unverständliches.
Rechts neben ihm schrie ein Beamter plötzlich: „Da ist er! Die Lampe, hierher, nach rechts! Auf die Treppe!“
Zwei Scheinwerfer schwenkten herum.
Sie kreisten, überschnitten sich, tauchten die Hauswand und die Gewächse, die wie Tausende winziger Schlangen aussahen, in kreidiges Licht. Dann vereinigten sie sich vor dem altertümlichen Spitzdach mit den beiden Stützbalken und zeigten den Wolf. Seine Augen glühten auf, als das Licht sie traf.
„Er wartet nur auf uns!“ sagte Gerd laut.
Beim Klang der Stimme schien der Wolf zusammenzuzucken. Er hob den Kopf,
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