0562 - Mordnacht in Paris
sich in den letzten Tagen neu eingekleidet. Das hatte einfach sein müssen, nach all dem, was hinter ihr lag. Sie war eine völlig neue Person geworden. Ungemein schwungvoll, stand dem Leben bejahend gegenüber und steckte voller Tatendrang.
Ich gönnte mir eine Zigarette und schaute Sarah Goldwyn auffordernd an. »Dann schieß mal los«, forderte ich sie auf. »Was ist genau geschehen? Am Telefon warst du ziemlich knapp.«
Jane, Suko und ich bekamen einen detaillierten Bericht. Wir hörten sehr genau zu und waren alle der Meinung, daß dieser Bucklige tatsächlich mit dem Teufel unter einer Decke stecken mußte.
»John, wenn ihr ihn gesehen hättet, wie er auf dem Boden lag, getroffen von zahlreichen Kugeln, da hättet ihr keinen Pfifferling für sein Leben gegeben. Aber was war? Er war nicht tot, er lebte. Er stand auf und wurde vom Teufel oder vom Feuer der Hölle umarmt, das ihm zusätzlich Schutz gab.«
»Weshalb?«
»Gute Frage, Suko, auf die ich leider keine Antwort habe. Ich weiß mittlerweile nur, daß diese Nadine Bresseau das sechste Opfer dieses Mörders innerhalb eines Jahres werden sollte. Alle stammten aus Montmartre. Wenn es ein Motiv gibt, dann müssen wir es in diesem alten Stadtteil suchen.«
»Der für uns fremd ist!« gab ich zu bedenken.
Jane Collins tippte mit der Kuppe ihres rechten Zeigefingers gegen die Lippen und wippte dabei mit den Beinen. »Lockvogel«, murmelte sie. »So etwas könnte ich doch auch spielen.«
»Untersteh dich!« rief ich.
»John, du bist nicht mein Ehemann und auch nicht mein Vorgesetzter. Ich bin mitgekommen, um diesen Killer zu fangen und um gleichzeitig Lady Sarah zu beschützen.«
»Klar, an etwas anderes habe ich auch nie gedacht. Nur frage ich mich, wie es kommt, daß gerade du, Sarah, mal wieder in einen dieser heißen Fälle hineinstolperst.«
»Zufall.«
»Sollen wir dir das glauben?«
»Ja, ich habe nur den alten Friedhof besucht.«
»Ah, nur den Friedhof. Wen wolltest du denn da sehen? Wer liegt dort begraben?«
»Interessante Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Politik. Er ist wirklich etwas Besonderes, du solltest ihn dir anschauen, John. Du wirst begeistert sein.«
»Oder auch nicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Sarah, ich kann mir nicht vorstellen, daß du nur auf den Friedhof gegangen bist, um dir die Gräber anzuschauen. Das muß einfach einen anderen Grund gehabt haben. Da bin ich mir sicher.«
»Welchen denn?«
»Tu nicht so scheinheilig«, stand Suko mir bei. »Wir kennen uns lange genug.«
»Meinst du?«
»Ja.«
»Also, was wolltest du wirklich auf dem Friedhof, Sarah?« hakte ich noch einmal nach.
»Ich suchte ein bestimmtes Grab.«
»Gut, wir kommen der Sache näher. Und wer liegt dort begraben? Einer deiner Bekannten?«
»Nein.«
»Ein Fremder.«
Sie schaute zu Boden und spielte mit ihren Fingern, als wäre ihr die Sache unangenehm. »So kann man es ausdrücken. Der Tote ist ein Fremder, allerdings ein…«
»Aha, hier finden wir sie. Und das sind wahrscheinlich die Leute, von denen Sie gestern gesprochen haben. Oder zumindest einer derjenigen Supermänner.«
Die barsche Stimme des Mannes hatte uns aus unserer Unterhaltung gerissen. Ich schaute nach links. Neben mir standen zwei Männer. Einer trug einen gefütterten Trench, dessen Kragen hochgestellt war. Der Gürtel spannte sich eng um die Taille. Ein Hut saß schief auf dem Kopf. Die Nase in seinem Gesicht war besonders markant.
Irgendwie besaß der Mann Ähnlichkeit mit Jean Gabin.
Der Knabe hinter ihm war kleiner und schmaler. Er machte einen müden Eindruck.
»Darf ich fragen, wer Sie sind?« erkundigte ich mich.
Sarah Goldwyn gab die Antwort, während der Schmale zwei Stühle vom Nachbartisch herbeiholte. »Das ist Serge Adami, ein Kollege von der Sûreté Paris, Paris. Er hat den Einsatz geleitet.«
»Oh, das freut mich.« Ich stand auf und streckte Adami meine Recht entgegen, die er übersah. Statt dessen nahm er Platz, schaute uns der Reihe nach an und wollte Namen wissen.
»Ist das ein Verhör?« fragte Suko sanft.
»Nein.«
»Dann gewöhnen Sie sich bitte einen anderen Tonfall an, Kollege. Können Sie das?«
Serge verengte seine Augen. »Verdammt noch mal, Meister. Sie ist tot. Wir haben Sie heute vor dem Küchenfenster an der Wand des Hinterhauses erhängt gefunden.«
»Von wem reden Sie?« erkundigte sich Sarah.
Serge holte tief Luft. Seine breiten Hände bewegten sich zuckend.
Er stand innerlich unter Dampf, war aufgewühlt, da
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