0564 - Die Gräber seiner Ahnen
grauhaariger, dunkel gekleideter Mann, dessen Augen von einer Brille mit schwarzen Gläsern verborgen waren.
Der Abbé kam…
***
Plötzlich herrschte ein tiefes Schweigen. Niemand sprach auch nur flüsternd ein Wort. Ein jeder lauerte darauf, was der langsam dahinschreitende Abbé wohl unternehmen würde.
Zunächst tat er nichts. Die Menschen schauten ihn an. Obwohl er blind war, streckte keiner seinen Arm aus, um ihn zu führen. Er konnte sich auch ohne Stock bewegen. Seine Füße schleiften aber über den Boden.
Maurice de Volta trat zur Seite. Der Abbé wurde durch kein Hindernis gebremst. Er konnte den direkten Weg weitergehen, der ihn zu dem wartenden Suko führte.
Würde er gegen ihn laufen?
Als der Abbé spürte, daß sich jemand in seiner Nähe befand, da stoppte er seine Schritte und blieb etwa eine Armlänge von Suko entfernt stehen.
»Ich spüre und weiß, daß du gekommen bist. Aber du bist nicht John, du mußt Suko sein.«
»Stimmt genau, Abbé.«
»Danke, Suko, danke.«
Der Inspektor wollte bewußt keine Rücksicht nehmen und fragte:
»Seit wann bedankt sich ein Mörder?«
»Mörder?« hakte der Abbé nach.
»Ja, ein Mörder!«
Es wurde noch stiller. Selbst der Wind schien eingeschlafen zu sein. Niemand rührte sich, die Ruhe lastete wie ein schwerer Druck über den Köpfen der Menschen.
Der Abbé hatte die Frage gestellt bekommen, und er mußte auch antworten. Sehr langsam nickte er, als er den Arm hob und mit den Spitzen seiner Finger über den Rand der Brille hinwegglitt. Er griff erst später zu und riß die Brille mit einem Ruck von seinem Gesicht weg. »Da!« sagte er laut und deutlich. »Schaut mich an! Sieht so ein Mörder aus? Sehe ich aus wie ein Mörder?«
Er drehte sich auf der Stelle, damit jeder sein Gesicht sehen konnte, in dem besonders die Augen auffielen. Sie erinnerten an zwei farblose, leicht hervorquellende Inseln innerhalb der Augenhöhlen.
Eine Ansicht, die Kindern Angst einjagte, denn einige der Kleinen drehten sich weg. Ein Mädchen sprach sogar von einem Monster.
»Nein«, erwiderte Suko, und es war seine ehrliche Meinung. »So sieht kein Mörder aus.«
»Das weiß ich.«
»Aber du hast getötet.«
»Und ich sah es!« schrie Chatron.
Der Abbé drehte sich leicht irritiert in die Richtung, aus der die Antwort geklungen war. »Bist du nicht Chatron, der Junge vom Bäcker?«
»Ja, der bin ich.« Er streckte seine Hand aus. »Und ich habe gesehen, wie Sie einen Mann erschossen, in den Wagen stiegen und einfach weggefahren sind. Hier aber spielen Sie den Blinden. Sie… Sie sind überhaupt nicht blind, das glaube ich fest!«
»Dann komm her und überzeuge dich!«
»Nein! Nein!« Chatron war außer sich. »Ich… ich kann so etwas nicht. Ich schaffe es nicht. Was ich gesehen habe, das habe ich gesehen. So ist das eben.«
Alle anderen hielten sich zurück, denn diese Sache ging nur den Abbé und den Zeugen etwas an. Laut fragte Bloch: »Glaubt ihr, daß ich ein Mörder bin?«
Eine schwere Frage und eine Antwort, die nicht minder schwer war, sollte jemand geben.
»Du, Maurice de Volta, was denkst du?«
»Ich kann es mir nicht vorstellen.«
»Und du, Suko, der du endlich gekommen bist?«
»Auch mir fällt es schwer, dies zu glauben.«
»Dennoch ist jemand von einem Menschen erschossen worden, der so aussah wie ich.« Der Abbé schüttelte den Kopf. »Es ist schlimm und grausam, aber der Ring des Bösen zieht sich immer enger. Ich habe nie behauptet, Heil und Segen über Alet-les-Bains, meine Heimat und die meiner Ahnen, gebracht zu haben, aber ich möchte auch nicht als der letzte Bloch mit dem Makel des Mörders in die Geschichte eingehen. Deshalb ist mein Grab schon geschaufelt worden. Ich werde hingehen und es belegen. Ich habe den Fluch anders nicht aufhalten können. Jetzt werde ich die letzten Schritte in meinem Leben schreiten und möchte darum bitten, daß ihr mich alle begleitet. Die Zeit der Wende steht dicht bevor. Das Schicksal hatte seine Pranke erhoben, um zuzuschlagen. Ich kann es nicht mehr ändern, und ich will ihm auch nicht im Wege stehen. Deshalb werde ich zu denen gehen, die mich erwarten.«
Bevor jemand eingreifen konnte, setzte er sich in Bewegung. Sogar Suko drückte er zur Seite, als wollte er ein lästiges Hindernis aus dem Weg scheuchen.
Niemand traute sich, ihn aufzuhalten, bis Suko als erster startete und ihn erreichte, als er den Friedhof betrat.
Suko hielt den Abbé fest. »Was hast du vor?«
»Sterben!«
»Nein! Ich
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