0564 - Die Gräber seiner Ahnen
grauen Licht des Tages. Das allerdings änderte sich sehr bald, denn Suko wunderte sich über die ersten Nebelschwaden, die in Kniehöhe über den Grund trieben und die alten Grabsteine umflorten wie Tücher.
Der Nebel war urplötzlich entstanden. Von der Witterung her gab es keinen Grund.
»Der Nebel!« sagte Suko leise. »Wo kommt er her?«
Die alte Douce nickte und hob gleichzeitig die Schultern. »Weißt du, mon ami, manchmal verbünden sich die Geister der Toten mit den Kräften der Natur. Aus diesem Grunde sieht du den Nebel. Die Schwaden sind aus den Gräbern gekrochen.«
»Die Toten?«
»Die Geister!« flüsterte Douse. Ihre Augen hatten dabei einen unheimlichen Glanz bekommen.
»Bon«, sagte Suko, »wir werden sehen.«
Der Nebel gefiel ihm überhaupt nicht. Er trieb an seinen Beinen als kalte Schichten entlang. Der gesamte Friedhof war bereits von ihm bedeckt worden. Suko kam sich vor, als würde er durch ein Meer waten, ohne Grund unter den Füßen zu haben.
Ein fürchterliches Gebiet, menschenleer, von Toten beherrscht, von fremden Geistern regiert.
Auch die Schritte der beiden einsamen Wanderer war nicht zu hören. Der Nebelfilm verschluckte alles.
Suko sah die Grabsteinspitzen. Manche kamen ihm vor, als würden sie sich bewegen. Wenn sie über die Gräber hinwegschritten, glaubte er, die Erde unter seinen Füßen bekäme eine gewisse Vibration.
Wer immer hier begraben lag, er war einer Magie nicht entkommen. Aber wer herrschte über diesen Friedhof?
Darauf eine Antwort zu suchen, fiel Suko schwer. Waren es nur die Toten oder deren Geister? Konnte es nicht sein, daß sie auch einen gewissen Anführer besaßen?
Er dachte an Baphomet, den Erzfeind der Templer, schaute wieder nach vorn – und hörte den Schrei.
Die alte Douse hatte ihn ausgestoßen. Sie war nur zwei Schritte entfernt, knickte aber plötzlich weg, als hätte man ihr die Beine unter dem Körper weggezogen.
Bevor sie in einer Spalte, Lücke oder einem Loch versinken konnte, schnellte Suko vor und fing sie ab. Er bekam sie am Handgelenk zu fassen und zog sie zu sich heran. Den Koffer hatte er abgestellt.
Sie atmete heftig, nickte dankbar und keuchte, bevor Suko noch eine Frage stellen konnte: »Ich habe es geahnt. Ich hätte es wissen müssen, aber ich habe nicht mehr daran gedacht. Verstehst du?«
»Woran?«
»An das offene Grab!« hauchte sie. »Es war offen, ich wußte es, denn es mußte so sein.«
Suko begriff nicht. Er schüttelte den Kopf. »Wieso mußte es denn offen sein?«
»Weil es für jemand bestimmt ist.«
»Aha – und wer ist das?«
Da schaute sie ihn an. Ihre Augen wirkten plötzlich trübe, der Blick verlor sich in Melancholie. »Weißt du das wirklich nicht, mein Freund? Weißt du es nicht?«
»Nein, woher?«
Da zog ihn die Frau näher an den Grabrand heran und blieb dicht neben der Grübe stehen. »Da, schau hinein!«
Es war schwer, etwas zu erkennen, weil auch über der Graböffnung die Nebel wie ein dichter Schleier lagen. »Tut mir leid«, sagte Suko, »aber ich sehe nichts.«
»Das Grab ist für ihn, mon ami. Die Menschen aus dem Ort haben es geschaufelt.«
»Wen meinst du?«
»Deinen Freund, den Abbé!«
***
Die Antwort haute Suko fast aus den Socken. Er bekam einen starren Blick und schüttelte sehr langsam den Kopf. »Habe ich richtig gehört?« hauchte er.
»Ja, es ist für den Abbé!«
»Verdammt, weshalb?«
»Im Buch des Schicksals steht es geschrieben. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
Die Frau wollte sich abwenden, was Suko nicht zuließ. Er bekam sie an der Schulter herum und sagte: »Tut mir leid, doch so einfach kommst du mir nicht davon. Was weißt du?«
»Zu wenig, mon ami, viel zu wenig. Wenn ich mehr wüßte, hätte ich etwas dagegen tun können. Da ich aber nichts weiß, ist alles vorbei, bin ich hilflos, wie wir alle hier, auch die Templer. Es ist die Stunde des Grauens, die bald über uns hinwegschweben wird und keinen von uns verschont. Glaub es mir.«
»Das muß ich ja wohl.«
»Dann komm weiter.«
»Moment noch. Wenn das Grab tatsächlich für den Abbé ist, dann müßte ich ihn hier auf dem Friedhof finden können.«
»Ja, er wird kommen, falls er nicht schon bei seinen Getreuen und den Bewohnern ist.«
Suko spürte zwar keine Furcht, nur paßte es ihm nicht, daß er allein auf dem Totenacker war. Er hätte sich gern John Sinclair zur Seite gewünscht. Vier Augen sahen immer mehr als zwei. Den Friedhof verlassen wollte er auch nicht.
Er schaute sich noch einmal
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