0564 - Die Gräber seiner Ahnen
dem Haus der Lady Sarah, wo wir bereits erwartet wurden.
Heiligabend – Weihnachten!
Mal wieder war das Fest der Liebe, des Schenkens, der Hetze, der verrückten Käufer gekommen. Ein Fest, dessen wahre Bedeutung in der Hetze unserer Zeit längst tief zurückgedrängt worden war. Dennoch machten wir alle mit, denn irgendwo gab es uns doch etwas, vielleicht Hoffnung. Wie die kleine Flamme der Kerze, die zu Christi Geburt angezündet worden war und einen regelrechten Weltenbrand im positiven Sinne ausgelöst hatte.
Es war noch früher Abend. Bis Mitternacht hatten wir noch Zeit.
Da wollten wir die Kirche besuchen.
Gerade für eine Person sollte dieses Fest etwas Besonderes werden, für Jane Collins.
Sie war erfüllt von einer gewaltigen Dankbarkeit, denn in diesem Jahr war sie von einem schrecklichen Schicksal befreit worden und konnte endlich wieder so leben wie ein normaler Mensch. Klar, daß sie das Fest oder den Heiligen Abend im Kreise ihrer Freunde feiern wollte, und so hatte ich darauf verzichtet, zu den Conollys zu fahren und mein Patenkind zu besuchen. Ich wollte es am anderen Tag nachholen.
Es gibt Tage, wo selbst eine Riesenstadt wie London es schafft, richtig auszuatmen. Zur Ruhe kam der Moloch nie, aber der Verkehr hielt sich doch in gewissen Grenzen.
Auch hier in der Straße, wo ich ohne Schwierigkeiten einen Parkplatz bekommen hatte.
Suko stand bereits am Kofferraum, während ich einen Blick auf das Haus von Lady Sarah warf.
In ihrem kleinen Vorgarten war der Tannenbaum mit elektrischen Kerzen geschmückt worden. Sie warfen ihr Licht in die Dunkelheit, die von feuchten Tüchern durchweht wurde.
Von einem Weihnachtswetter konnte man nicht sprechen. Es fiel kein Schnee, höchstens Nieselregen, außerdem war es zu warm für die Jahreszeit. Bei zehn Grad über dem Gefrierpunkt vergingen einem die weihnachtlichen Gefühle.
Ideal wäre es gewesen, in einem kleinen, winterlich verschneiten Alpendorf zu feiern, doch die Zeit hatte ich nicht. Vielleicht im nächsten Jahr.
»Träumst du?« fragte Suko.
»Nein, nein, ich dachte nur nach.«
»Oh, das ist neu.«
»Weihnachten bin ich immer in Form.« Ich schloß die Haube auf und ließ sie hochschwingen.
Es war mir trotz allem noch gelungen, Geschenke zu kaufen. Für Jane, Lady Sarah, Glenda und Suko. Auch die Päckchen für die Conollys lagen schon im Wagen. Die ließ ich liegen.
Suko nahm seine Geschenke selbst. Bepackt wie Weihnachtsmänner durchquerten wir den Vorgarten. So groß, wie sie aussahen, waren die Sachen nicht, aber die Verkäufer packten heutzutage alles derart »großartig« ein, daß aus einer Seifendose schon ein mittleres Paket wurde.
Man hatte unsere Ankunft bereits beobachtet. In der offenen Tür erschien Lady Sarah Goldwyn. »Kinder!« schallte uns ihre Stimme entgegen, »was habt ihr denn vor?«
Ich schielte rechts am Stapel vorbei. »Wir wollten Weihnachten feiern.«
»Aber doch nicht mit derartig vielen Geschenken.«
»Die meisten Kartons sind leer!«
Sie lachte und öffnete die Tür noch weiter, damit wir das Haus betreten konnten. Stolpern wollte ich nicht gerade, deshalb war ich vorsichtig und trat ein in eine anheimelnde Wärme, in der zahlreiche weihnachtliche Gerüche mich an meine Kindheit erinnerten und auch an meine Eltern, die oben in Schottland im Kreise von Freunden das Fest verbrachten. Noch vor einer Stunde hatte ich mit beiden gesprochen.
»Wo soll ich denn die Sachen abstellen?«
»Na, im Wohnraum.«
Dort warteten zwei Frauen auf uns. Einmal die blonde Jane Collins, zum anderen Glenda Perkins, unsere Sekretärin, die das Fest keinesfalls allein feiern sollte, deshalb hatte Sarah Goldwyn sie eingeladen. Außerdem gehörte die Rivalität zwischen Jane und Glenda längst der Vergangenheit an.
Die beiden Frauen nahmen uns die Päckchen ab und verteilten sie unter dem hohen Weihnachtsbaum, der bereits festlich geschmückt war. Aus den Lautsprechern der Stereo-Anlage wehte Weihnachtsmusik des Komponisten Corelli.
Die drei Frauen hatten es tatsächlich geschafft, eine wunderbare Stimmung zu zaubern.
Es war vorher abgesprochen worden, sich nur etwas Kleines zu schenken. Wer mehr Geld ausgeben wollte, der konnte es tun. Die Summe dann allerdings auf ein Sonderkonto überweisen für die Erdbebenopfer in Armenien.
Suko und ich schauten uns um. Lebkuchen, Printen und anderes Gewürzgebäck verbreitete einen wunderbaren Duft, den wir regelrecht genossen. Ich kam mir vor wie früher, als ich in der
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