0565 - Der Tod in seinen Augen
Sind Sie vom Fach?«
»Nein, nicht aus Ihrer Branche. Ich bin Polizist. Scotland-Yard-Beamter.«
»Oh.« Er lächelte etwas. Dann folgte ein uralter Witz. »Ich habe doch nicht falsch geparkt?«
»Nein, das haben Sie nicht. Können Sie fahren?«
»Ich lasse mich fahren.«
»Sorry, natürlich.«
»Was also führt ausgerechnet einen Polizisten zu mir, einem Wohltäter der Menschheit?«
Eingebildet war er überhaupt nicht. »Nennen Sie sich so, Mr. Tigana?«
»Man hat mir den Namen gegeben. Ich gebe gern zu, daß ich ihn übernahm.«
»Das ist menschlich.«
»Sicher. Also, Mr. Sinclair. Welch einen Grund hat Scotland Yard, sich um mich zu kümmern?«
»Es geht um zwei, nein«, ich dachte an Costellos Anruf, »um drei Morde.«
Tigana nickte. »Das ist nicht wenig. Das ist sogar sehr schlimm. Aber was habe ich damit zu tun?« Er hob die Hände und ließ sie wieder fallen. »Oder soll ich diese Morde begangen haben?«
»Das glaube ich nicht.«
»Weshalb sind Sie bei mir?«
»Vielleicht kennen Sie die Mörder. Den Aussagen der Zeugen nach sollen es Blinde gewesen sein.«
»Hm!« machte er. »Blinde, nicht wahr?« Er fing schallend an zu lachen. »Hast du das gehört, Kate. Blinde sollen Morde begangen haben. Was sagst du dazu?«
Kate Finley stand hinter mir. »Ich sehe dies als eine Unverschämtheit an. Mr. Tigana.«
»Ja, das stimmt.« Er wandte sich wieder an mich. »Wer behauptet das eigentlich?«
»Wie gesagt, die Zeugen…«
»Hören Sie auf! Meine Patienten sind meine Freunde. Ich müßte Sie etwas fragen. Wie sollen Blinde hier wegkommen? Was wollen Sie mir in die Schuhe schieben?«
»Gar nichts. Ich möchte nur noch einmal auf die Zeugen zurückkommen. Einer davon bin ich gewesen.«
»Wie bitte?«
»Ja, ich selbst bin in der vergangenen Nacht von zwei angeblichen Blinden angegriffen worden. Sie schlugen mich mit ihren weißen Stöcken zusammen.«
Er lachte, legte den Kopf zurück und riß den Mund auf. »Hören Sie, Sinclair. Sie kommen hierher, um mir Märchen zu erzählen. Schämen Sie sich. Es ist einfach eine Schweinerei, mir so etwas unterstellen zu wollen.«
»Dann geben Sie zu, daß sie dabei waren?«
»Wobei?«
»Bei dem Überfall auf mich.«
»Das müssen Sie mir aber genauer erklären.«
»Gern, Sie Wohltäter. Kurz bevor ich in die Bewußtlosigkeit abglitt, da sah ich noch einen dritten Gegner. Er trug ebenfalls eine dunkle Brille. Allerdings gab es zwei wesentliche Dinge, die diese Brille von den anderen unterschied. Die Brille des dritten Angreifers besaß ein weißes Gestell, wie die Ihre. Und in ihren Gläsern schimmerten kleine Totenköpfe. Mr. Tigana.«
»Wie bei mir, wie?«
»Das habe ich nicht behauptet.«
»Ich trage keine Brille mit Totenköpfen, Sinclair. Und weiße Gestelle gibt es viele. Das ist kein Beweis für Ihre infamen Behauptungen.«
Ich winkte ab. »Ob infam oder nicht. Ich jedenfalls weiß, daß Sie nicht der Wohltäter sind, als den Sie sich gern ausgeben. Ich habe einen ganz anderen Verdacht.«
»Und welchen?«
»Weshalb haben Sie die beiden Männer auf der Straße getötet oder töten lassen? Ihre Gesichter waren zu einer schwarzen, öligen, ascheartigen Masse verschmort. Was haben Sie ihnen getan? Und wußten Sie, für wen die Männer arbeiteten?«
»Ich weiß gar nichts.«
In den folgenden Sekunden schob ich ihm einen Bluff zu. »Sie kennen das Sprichwort, daß man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben kann. Manchmal muß auch ich als Polizist in den sauren Apfel beißen. Das heißt, ich muß mich in gewisser Hinsicht auf die Seite der Gangster stellen, um ein schlimmeres Übel zu verhindern. Und mit diesem schlimmeren Übel meine ich Sie, Tigana.«
»Sie bezeichnen mich als Übel?«
»Richtig.«
»Hast du das gehört, Kate? Einen Wohltäter der Menschheit als Übel anzusehen. So etwas ist mir noch nie gesagt worden.«
»Es wurde Zeit, daß es einmal geschieht. Um auf den Wohltäter zurückzukommen. Das glaube ich Ihnen nicht. Ich weiß auch nicht, ob sich hinter den dunklen Gläsern tatsächlich tote Augen verbergen…«
»Sie wollen behaupten, daß die Blinden nicht blind sind?« hakte er nach.
»Zumindest nicht alle. Einige von ihnen sehe ich persönlich als Mörder an. Außerdem bin ich mir über Ihre Rolle ebenfalls nicht im klaren. Spielen Sie den Blinden nur, sind Sie es tatsächlich?«
»Soll ich es Ihnen beweisen?« fragte er.
»Ich bitte darum.«
Er räusperte sich, rutschte dabei jedoch unruhig auf seinem Stuhl hin und
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