0568 - Die Braut des Wahnsinns
geworden war.
War die andere Bande frei?
Nein, plötzlich stürmten sie auch dort los. Und sie waren verdammt nahe.
Wendy riß die Arme hoch, als könne sie sich so schützen. Zum erstenmal schrie sie laut auf. Sie rollte noch weiter, bis die Tiere gegen ihre Kufen prallten.
Fast wäre sie gestürzt. Wendy fiel nach vorn und stolperte auch in diese Richtung weiter, hielt sich jedoch auf dem Eis und trat sogar auf einen Rattenkörper.
Die Kufe zerteilte ihn.
Wendy hörte die Ratte schreien, sah den dicken Fleck und Fell und Blut auf der Fläche, schüttelte sich vor Angst und glitt weiter, obwohl die rechte Kufe schabte, weil noch Reste des Rattenkörpers daran hingen.
Ihr war klar, daß die Tiere etwas von ihr wollten, daß sie sie jagten, und sie so rasch wie möglich die Eisfläche verlassen mußte.
Ausgerechnet jetzt war Simon nicht in der Nähe. Er hätte ihr bestimmt helfen können.
Was ihr noch nie passiert war; mußte sie sich jetzt eingestehen.
Wendy hatte den Überblick völlig verloren. Die Eisfläche hatte sich in ein Karussell verwandelt, das sich immer schneller um die eigene Achse drehte und das Mädchen mitriß.
Sie schrie auf…
Überall waren die Ratten. Wenn sie lief, hockten sie vor ihren Kufen. Wendy stolperte über sie hinweg, schlug während des Laufens um sich und spürte die ersten Stiche, die ihre Waden trafen.
Plötzlich rutschte sie aus. Diesmal konnte sich das Mädchen nicht fangen. Es lag plötzlich in der Luft, beide Beine hatten sich von der Fläche gelöst, dann schlug sie auf.
Es war ihr nicht mehr gelungen, sich rechtzeitig abzustützen. Der Prall erwischte sie hart an der Schulter, ein widerlicher Schmerz zog hinein bis in das Handgelenk, und Wendy fürchtete sich davor, es gebrochen zu haben.
Sie rollte sich herum, sah die Ratten aus der Nähe und schnellte wieder hoch.
»Simon…!« Ihr wahnsinnig lauter Schrei zitterte durch die Halle, doch Simon war nicht da.
Wendy fuhr weiter. Sie konnte nicht anders. Sie bewegte sich hektisch über die Fläche, schrie und weinte, während sie das Gefühl hatte, von zahlreichen Ratten gebissen zu werden.
Plötzlich hörte sie den Ruf.
»Hallo, Wendy!«
***
Ich wußte nicht genau, wie ich zur Eisfläche kommen sollte. Jedenfalls hatte ich es geschafft, in die Halle hineinzukommen, denn sie war nicht verschlossen gewesen.
In den breiten Gängen hätte ich mich leicht verlaufen können, aber es gab Hinweisschilder. Eins deutete in Richtung Zuschauerränge, und ein Pfeil zeigte mir den Weg zu den Kabinen.
Dort würde ich auch die Fläche finden.
Zuerst hörte ich die Schreie.
Ich dachte daran, daß es mehrere Personen sein mußten, bis ich feststellte, daß nur eine Person diese fürchterlichen Angstschreie ausstieß. Für mich kam nur Wendy Wilde in Frage.
Plötzlich hatte ich es verdammt eilig. Trotz der Eile fand ich mich zurecht und landete nicht in den Kabinen, sondern in einem durch Gitter gesicherten Gang, der auf dem direkten Weg zur Eisfläche hinführte. Die Bande erschien vor mir. Meine Füße hämmerten über die dunklen Steine, und fast wäre ich gegen die Bande gefallen. Ich konnte mich noch soeben an ihrem Rand abstützen.
Auf dem Eis bewegte sich Wendy Wilde. Ich hatte sie schon beim ersten Blick erkannt und wunderte mich über ihren Laufstil. Obwohl ich mich nicht als Kenner der Sportart bezeichnen durfte, fiel mir doch auf, daß dieser Lauf alles vermissen ließ, was ihn sonst so stark unter den Konkurrentinnen hervorhob.
Kein Gleiten, keine Grazie, keine Figuren, er glich eher einer Flucht vor irgendwelchen Feinden, die nicht vorhanden waren und das Mädchen trotzdem jagten.
Wendys Gesicht war verzerrt. Nicht vor Anstrengung, es war der Ausdruck einer schon panischen Angst, der ihre Züge zeichnete.
Wenn sie lief, bewegte sie heftig die Arme, als wollte sie so unsichtbare Gegner abschütteln. An den Waden gab es Stellen, wo der Trikotstoff eingerissen war. Schluchzende und schreiende Laute drangen mir entgegen. Vergebens suchte ich nach der Ursache für dieses Verhalten. Wendy lief wie ein Roboter, der außer Kontrolle geraten und kaum noch zu stoppen war.
Ich wollte sie aber haben.
Deshalb kletterte ich über die Bande und wagte mich auf die glatte Eisfläche.
Der geht wie auf Eiern, heißt es manchmal. Genauso kam ich mir vor, als ich mich weiterbewegte. Ich hatte das Gefühl, bei jedem Schritt wegzurutschen, breitete die Arme aus, um möglichst das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und näherte
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