0568 - Die Braut des Wahnsinns
mich dem Mädchen.
Wenn sie gegen mich lief, war es sowieso vorbei. Sie schaute überhaupt nicht nach, wohin sie lief. Wendy wollte nur weg. Jede Laufbewegung sah nach einer Flucht aus.
Etwa drei bis vier Yards von der Bande entfernt blieb ich stehen.
Das Scheinwerferlicht traf mein Gesicht. Es war nicht einmal warm.
Ich sprach die Sportlerin an.
»Hallo, Wendy!«
Sie lief weiter, ließ sich nicht stören – oder?
Plötzlich stoppte sie. Also hatte sie meinen lauten Ruf doch vernommen.
Sie befand sich rechts vor mir. Um mich sehen zu können, mußte sie den Kopf drehen.
Das tat sie auch.
Sehr langsam geschah dies, als könne sie nicht glauben, daß sie jemand angesprochen hatte. Mir fiel auf, daß sie dabei suchend ihre Blicke über die Eisfläche gleiten ließ.
Die Fläche war leer!
Ich breitete die Arme aus, als wollte ich sie einfangen. »Suchen Sie etwas, Wendy?«
Nun erst nahm sie mich richtig wahr. Sie schaute mich an. Für zwei, drei Sekunden schien zwischen uns beiden die Zeit stillzustehen. Ich hob die Hand zum Gruß und lächelte.
Da brachte Wendy stockend und flüsternd die ersten Worte hervor: »Wer… wer sind Sie?« fragte sie mich. »Sie sind nicht Simon…«
»Nein, das bin ich nicht.«
»Gehen Sie!« schrie sie und streckte mir den Arm entgegen. »Ich will Sie hier nicht sehen. Hauen Sie ab! Weg… Sie … Sie haben es getan. Nur Sie können es getan haben!«
»Was soll ich denn getan haben, Wendy?«
»Die… die Ratten. Sie haben mir die Ratten geschickt. Ja, das weiß ich genau. Sie haben die Ratten auf die Eisfläche gelockt, damit ich gejagt werde.«
»Aber Wendy«, sprach ich leise. »Ich bitte Sie. Welche Ratten soll ich geschickt haben?«
Das Mädchen schaute sich um. »Gejagt haben sie mich. Die… die Ratten haben mich hier gejagt. Hier auf dem Eis bin ich gejagt worden. Wirklich, das … das ist so …«
»Nein, Mädchen. Es sind keine Ratten da. Jedenfalls sehe ich keine, und meine Augen sind gut.«
»Doch, es waren welche hier!« kreischte sie und schüttelte dabei den Kopf.
»Darf ich zu Ihnen kommen?«
Sie hatte die Frage gehört und dachte über die Antwort nach.
»Wieso? Was wollen Sie? Wer sind Sie?«
»Ich heiße John Sinclair!«
Ihr Kopfschütteln wirkte panikhaft. »Tut mir leid, ich kenne Sie nicht. Bleiben Sie da, wo Sie sind. Ich will zu Simon. Ich möchte, daß er kommt.«
»Wer ist Simon?«
»Mein Bräutigam.«
»Dann sind Sie seine Braut?«
»Ja, wir werden bald heiraten. Alles ist schon vorbereitet, das hat er gemacht.«
»Wann heiraten Sie denn?«
»In einigen Stunden, in der Nacht. Ich freue mich.« Sie senkte den Kopf und flüsterte: »Simon, wo bist du?«
Dieser Knabe schien es ihr angetan zu haben. Ob Simon ebenfalls seine Braut per Video ausgesucht hatte? Jedenfalls stimmte hier einiges nicht. Dabei dachte ich auch an die bevorstehende Hochzeit. Sie sollte in der Nacht stattfinden.
Wer um diese Zeit den Bund fürs Leben schloß, hatte entweder etwas zu verbergen oder bestimmte Gründe für seine Tat. Obwohl ich diesen Simon nicht kannte, schien bei ihm beides zuzutreffen.
Jedenfalls hatten gewisse Ereignisse das Mädchen völlig durcheinandergebracht. Um mehr darüber zu erfahren, mußte ich mit ihr reden. Sie stand auf dem Eis, als wäre sie ein Stück von ihm. Nahezu regungslos, den Kopf gesenkt, weinend, die Fläche anstarrend, wobei sie Sekunden später meinen Schatten sah, der sich zuerst auf sie zubewegte.
Wendy hob dermaßen hektisch den Kopf, daß ich Angst um sie bekam. Sie glitt zurück. »Bleiben Sie mir vom Leib! Sie haben mir die Ratten geschickt, Sie Teufel…«
»Es gibt keine Ratten!«
»Die haben mich gejagt, mich gebissen. Sehen Sie sich meine Waden an! Da sind ihre Zähne…«
»Ich möchte Ihnen helfen.«
Sie lachte röhrend auf. »Wie können Sie das? Mir kann nur Simon helfen. Keine Verbrecher wie Sie.«
»Ich bin Polizist.« Da sie nicht reagierte, wiederholte ich meinen Spruch.
Endlich schaute sie auf.
»Ja«, sagte ich und nickte ihr entgegen. »Ich bin tatsächlich ein Polizist. Mein Name ist John Sinclair. Ich arbeite bei Scotland Yard. Soll ich noch mehr sagen?«
Ich ließ ihr Zeit, sich zu erholen und mit den neuen Tatsachen abzufinden. Nach einer Weile entspannte sich ihr starrer Körper.
»Aber was wollen Sie von mir?«
»Ihnen helfen, zum Beispiel.«
»Mir?« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf sich selbst. »Wobei wollen Sie mir denn helfen?«
»Ich kann Sie beschützen.«
»Nein,
Weitere Kostenlose Bücher