0568 - Die Braut des Wahnsinns
ausgeworfen hatten, um sie in eine Falle zu locken. Wer immer auch dahinter steckte, er kannte Gunhilla von Draben nicht. Sie war schon mit ganz anderen Schwierigkeiten fertig geworden. Ein Mann wie Sinclair würde sich wundern…
***
Sie stand wieder auf dem Eis, sie befand sich in ihrer Welt, die sie großgemacht hatte. Sie spürte das leichte Vibrieren in sich, wie immer vor einem Wettkampf.
Das hier war kein Wettkampf. Wendy hatte die große, leere Halle allein betreten. Sie wollte noch einmal laufen, bevor sie heiratete.
Auf dem Eis ihre Gefühle freigeben, denn tief in ihrem Hinterkopf hatte sich der Gedanke festgesetzt, daß es bald zu spät sein würde.
War sie erst einmal verheiratet, konnte sie die Karriere möglicherweise an den berühmten Nagel hängen.
Simon hatte es nie offen ausgesprochen, sie aber glaubte, daß er nicht zu den Menschen gehörte, die seine Frau mit zahlreichen Fans teilten. Dazu war er zu dominant.
Noch stand sie. Das rechte Bein angewinkelt, den Fuß geknickt, die Arme erhoben und die Hände über dem Kopf zusammengeführt. Wendy sah aus, als würde sie jeden Augenblick zusammenbrechen, doch es war die Phase der Konzentration.
Allein hatte sie die Halle betreten, in der sie sich auch außerhalb der Eisfläche auskannte. Zwei Strahler reichten ihr völlig aus. Von verschiedenen Seiten schickten sie ihre langen Lichtröhren gegen das Rechteck der matt schimmernden Eisfläche, in deren Mitte sich Wendy Wilde aufhielt.
Wieder trug sie ihr schwarzes Trikot. Das Gesicht unter dem blonden Haar wirkte blaß. Ein wenig überanstrengt sah sie schon aus.
Das Erlebnis mit den Ratten hatte ihr schwer zu schaffen gemacht, obwohl Simon es abgewiegelt hatte.
Musik brauchte sie nicht, wenn sie allein fuhr. Sie wollte sich einfach hineingleiten lassen in ihre Welt, die anders war als die normale. Mit jeder Bewegung näherte sie sich dem Traum ein wenig mehr.
Das Laufen, das Gleiten, das Schweben über der Fläche ließ sie alles um sich herum vergessen.
Es machte ihr auch nichts aus, daß keine Zuschauer anwesend waren. Die Ränge lagen im Dunkeln. Nicht mal ein Lichtreflex tanzte über die leeren Sitzreihen hinweg.
Auch unter dem Dach, wo sich das Gestänge für die Scheinwerfer befand, ballte sich die Finsternis.
Wendy startete.
Nicht abrupt. Sie glitt über die glitzernde Fläche, streckte die Arme aus, als wollte sie irgendwo Halt finden, drehte sich erst kurz vor der Bande, um die Bewegung in eine Linkskurve ausgleiten zu lassen. Nun lag die gesamte Breite der Fläche vor ihr, und sie hielt sich dicht an der Bande.
Es war für sie ein Erlebnis. Sie genoß das Laufen mit halbgeschlossenen Augen. Zu schauen, wohin sie diese Kür führte, brauchte sie nicht. Wendy war perfekt. Sie kannte die Fläche wie ihre kleine Wohnung. Sie wußte, wann sie abdrehen mußte, um nicht vor die Bande zu prallen, und sie zauberte sich selbst Traumbilder vor.
Sah die gefüllten Ränge, hörte den Beifall, der ihr entgegenrauschte und sie erfüllte und sah auch die starren Gesichter der oftmals ungerecht zensierenden Kampfrichter, die nur ihre Arme bewegten, ansonsten glatt und hart wie Stein wirkten, wenn sie auf ihren Plätzen hockten.
Eine neutrale Lautsprecherstimme gab stets die Numerierung durch. Vor jeder Zahl begann das große Zittern, die Hoffnung darauf, daß die nächste höher ausfallen würde, um, wenn das Ergebnis feststand, in einen Taumel der Freude oder in die Kälte der Hoffnungslosigkeit abzusinken. Das alles hatte Wendy Wilde hinter sich und niemals aufgegeben. Sich stetig hochgekämpft, und sie war gut geworden. Besonders unter dem neuen Trainer Simon Arisis, auch wenn dieser sie erst seit einigen Wochen unter seine Fittiche genommen hatte.
Am nächsten Tag schon waren sie ein Paar!
Wendy dachte über die Hochzeit nach. Hatte sie es richtig gemacht, der Schwester zu folgen, die sich jetzt auf der langen Hochzeitsreise befand und sich von der Karibik-Sonne bescheinen ließ?
Wendy fuhr hier. Sie glitt hinein in ihr eigenes, ganz persönliches Glück. Die kleine Freiheit, vor der Hochzeit noch einmal laufen zu können, hatte sie sich genommen. Am Abend würde alles anders sein, und auch die Hochzeit würde anders ablaufen.
Ein Zugeständnis hatte ihr Simon gemacht. Sie durfte ein weißes Brautkleid tragen, das sie schon mehrere Male anprobiert hatte. Der kostbare Stoff besaß eine schon fast unverschämt wirkende Transparenz. Man konnte, wenn man wollte, genau sehen, ob sie etwas
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