0568 - Die Braut des Wahnsinns
daß sie die Geste verstand und so schnell wie möglich aus dieser Kapelle floh.
Ohne Waffen war ich nicht erschienen.
Offen vor meiner Brust hing das Kreuz. In der rechten Hand hielt ich die Beretta, in der linken den Dolch. Ich schnellte vor der anderen Seite des Altars in die Höhe, so daß Simon nicht mehr Wendy anstarrte, sondern mich.
Sein Gesicht schien zu zerfließen. Staunen, Schrecken und Haß wechselten sich ab.
Gunhilla von Draben hatte ihre Kamera sinken lassen und brüllte mir wuterfüllte Worte entgegen.
Dann sprangen die Ratten!
Sie waren dazu ausersehen worden, ihre Herren zu beschützen.
Die ersten beiden zielten auf meine Kehle. Ich zuckte zur Seite, ein Biest verfehlte mich und das zweite Tier sprang genau in die Klinge meines Dolchs.
Simon Arisis wich schreiend zurück. Das Mal auf seiner Stirn begann zu zucken. Ich hatte den Eindruck, als würden kleine Flämmchen aus den Umrissen züngeln, und mein Kreuz strahlte einen matten Glanz ab. Vampire und Kreuze, das war wie Feuer und Wasser.
Mit einem Sprung setzte ich über den Altar hinweg, ohne auf die Ratten zu achten.
Ich wollte Simon Arisis, aber ich hatte mich in Gunhilla von Draben verrechnet.
Kreischend fuhr sie mir entgegen. Sie besaß als Waffe nur ihre Video-Kamera.
Damit drosch sie zu.
Am Kopf hatte sie mich treffen wollen. Blitzschnell duckte ich mich, die Kamera streifte mich nur, bevor sie gegen die Kante des Altars drosch und dort zerknackte.
»Los!« kreischte Arisis, »holt ihn euch! Tötet diesen verfluchten Verräter! Denkt an das Blut der alten Rasse!«
Er selbst hatte sich zurückgezogen, und das sah mir verdammt nach Flucht aus.
Gunhilla hing wie eine Klette an mir. Sie zog meinen Waffenarm nach unten. Durch einen Kniestoß befreite ich mich von ihr.
Dann waren die anderen da.
Sie verbauten mir den Weg zu Arisis, der auf eine der zahlreichen Nischentüren zuhetzte.
Den holte ich nie ein.
Sie kamen wie eine Welle. Mit verzerrten Gesichtern, schwingenden Fäusten und wollten mich fertigmachen.
Ich griff zum letzten Mittel, um den verdammten Simon zu stoppen. Die Zeit zum Ausholen nahm ich mir noch. Dann schleuderte ich mit einer weiten, bogenförmigen Bewegung mein geweihtes Silberkreuz hinter ihm her…
***
Wahnsinn, Wahnsinn!
Wendy hatte das Gefühl, vom Irrsinn umkrallt zu werden. Was sie hier erlebte, konnte einfach nicht wahr sein. Der harte Stoß hatte sie in Richtung Tür geschleudert, gegen die sie fast gefallen wäre. Das weite Brautkleid bauschte sich auf. Der Saum huschte durch die Spitze einer Kerzenflamme und fing glücklicherweise kein Feuer.
Die Tür!
Irgendwo war ihr Gehirn frei geworden. Sie konnte wieder nachdenken, schaute nicht zurück, sondern rammte die Tür wuchtig nach außen, wobei sie den dumpfen Laut hörte, als das Holz irgendwo gegen prallte. Gleichzeitig waren die Ratten da, huschten über ihre Füße und rannten als erste aus der Kapelle.
Die Eisläuferin folgte ihnen. Jetzt machte es sich bemerkbar, daß sie ständig hart trainiert hatte, eine sehr gute Kondition besaß und sich auch auf dem glatten Boden halten konnte.
Aus den Augenwinkeln nahm sie noch wahr, daß eine Gestalt in den Kanal fiel. Sie wußte nicht, wer der Mann war und ob er zu Simon Arisis gehörte. Wendy wollte nur raus aus dieser verdammten Unterwelt, die für sie zu einer Kammer des Wahnsinns geworden war.
Sie merkte kaum, daß sich ihre Beine bewegten. Sie wußte auch nicht, wohin sie lief. Der Boden war so verdammt glatt. Immer wieder rutschte sie weg, mal zur Seite des Kanals hin, dann wieder nach links, wo sie sich an der Wand festhalten konnte.
Trotz der Angst wirkte ihre Flucht fast tänzerisch. Da war kein schweres Laufen zu sehen, sie kam beinahe leichtfüßig voran, aber die Ratten waren schneller.
Wie Simons Rächer hetzten sie hinter der Eisläuferin her. Und es waren nicht nur zwei, drei, sondern mehr als ein Dutzend, die sich an die Verfolgung gemacht hatten.
Sie waren schnell und holten auf.
Wendy merkte nichts davon. Sie warf auch keinen Blick zurück.
Hätte sie es getan, wäre ihr im letzten Schein einer Deckenleuchte aufgefallen, daß ein Chinese aus dem Kanal kletterte.
So aber rannte sie fort.
Sie wußte auch nicht, wo der Gang endete. In ihrer Panik passierte sie selbst die Nischen, die zu den nach oben weisenden Schächten führten.
Der Windzug preßte ihr den dünnen Stoff des Brautkleids gegen den Körper. Der lange Schleier wehte hinter ihr hoch wie eine dünne Fahne
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