057 - Im Banne des Unheimlichen
Straße nach Epping, nicht wahr? Ich bewundere zwar Ihren Mut, muß aber schon sagen, daß es in lebensgefährlicher Weise an Besonnenheit mangelt. Für die nächsten zwei Wochen gibt es nur einen sicheren Platz für Sie - irgendwo hinter einem stählernen Schutzschirm. Und selbst da dürften Sie nur eigenhändig zubereitete Speisen essen.«
»Ist das Ihr Ernst?« fragte Bullott mit besorgter Miene.
Toby nickte.
»Mein voller Ernst, mein voller Ernst!«
22
Anderntags, als Bullott nach Hause kam, hatte ihm Bill eine Neuigkeit zu berichten.
»Etwas, das Sie interessieren wird - La Florette hat das Palais Lord Towcesters am Portland Place gemietet und will dort großes Haus führen, ehe sie für den Winter nach Südamerika verschwindet. Sehen Sie darin nichts Auffälliges? Ich schon! Florette sitzt nämlich so ziemlich auf dem trockenen, van Campe ebenfalls. Der Mißerfolg seiner letzten Inszenierung bringt es mit sich, daß er von Gläubigern geradezu belagert wird. Tatsächlich hatte sogar Florette, die eigentlich Hamshaw heißt, schon begonnen, sich einzuschränken. Toby Marsh wohnt bei ihrer Mutter und weiß es daher. Die Jahresmiete für das Haus wird mindestens fünfzehnhundert Pfund ausmachen, der Haushalt wohl das Dreifache. Woher nimmt sie das Geld?«
Bullott schien die Nachricht nicht besonders zu interessieren.
»Das soll ihre Sorge sein«, meinte er.
»Ein wenig geht es auch Sie an ...«
Bevor Bill erklären konnte, was er meinte, kam Bullotts Haushälterin herein und meldete einen Besuch.
Es war Mr. Pawter. Aus seinen ruhigen Augen hinter den dicken Gläsern der mächtigen Hornbrille blitzte schadenfrohe Genugtuung.
»Das kommt davon -« sagte er mit einem Blick auf den umfangreichen Verband um den Kopf seines Verwandten. »Wenn du bei PIPS geblieben wärst, wärst du nicht angeschossen worden!«
»Woher weißt du, daß ich angeschossen worden bin?«
»Die späten Abendblätter haben die Nachricht gebracht. Deshalb bin ich gleich hergekommen.«
»Da scheint sich ein übereifriger Nachrichtenlieferant herumzutreiben!« rief Bullott ärgerlich.
Er hatte die Presse von diesem neuen Mordversuch nicht verständigt, weil er die Nachricht noch ein oder zwei Tage zurückhalten wollte.
Pawter blieb nicht lange.
»Denk daran, William, beim PIPS steht immer ein Schreibtisch für dich bereit«, sagte er beim Abschied. »Mr. Lambert Stone hat uns den Auftrag erteilt, den großen Reklamefeldzug für ihn durchzuführen, und ich wäre sehr froh, wenn du mit einer Gehaltserhöhung wieder bei uns eintreten wolltest.«
»Das war also Vater Pips«, erklärte Bill nachher dem Inspektor, »von ›Pawters Intensive Publicity Service‹, mein sehr ehrenwerter Vetter, ein Junggeselle. Er hat, soviel ich weiß, keinerlei kriminelle Neigungen, mit Ausnahme einer übertriebenen Vorliebe für Grammophonmusik, und sicherlich nicht die entfernteste Beziehung zu den Stolzen Söhnen von Ragusa ...«
»Da irren Sie sich«, fiel ihm Bullott ins Wort. »Er ist der ›Sichtbare Prior‹ des Ordens.«
»Der Sichtbare Prior? Was bedeutet das?«
»Ich habe den Söhnen Ragusas eifrig nachgeforscht«, antwortete der Inspektor, »und in den letzten Tagen mehr über ihre Organisation erfahren, als ich je herauszubekommen hoffte. Wie Sie wissen, sollten die Brüder des Ordens einander nicht kennen. Das ist natürlich bei den niederen Graden nicht durchwegs erreichbar. Bei den höheren Graden aber wird diese Bestimmung ernster genommen. Es gibt vierzehn Prioren, von denen dreizehn immer nur vermummt erscheinen, nämlich der Großprior und zwölf andere, die wie Domherren im Kapitelhaus wohnen. Der vierzehnte aber, der ›Sichtbare Prior‹, zeigt sich stets ohne Maske. Er ist eigentlich der Notar des Ordens, der den Großprior in geschäftlichen Dingen zu unterstützen hat. Und dieser Mann ist Pawter!«
»Sind Sie verrückt?« fragte Bill.
»Durchaus nicht. Meinem Vertrauensmann in Dartmoor ist es gelungen, die Prioren bis zu ihrer Behausung zu verfolgen. Vor zwölf Jahren wurde ein altes Kloster am Rande der Heide von Dartmoor verkauft, weil der Orden, dem es gehörte, wieder nach Italien übersiedelte, woher er stammte. Pawter erstand die Liegenschaft für die Söhne von Ragusa. Es ist ein merkwürdiges, uraltes, von hohen Mauern umgebenes Kloster, das im verlassensten Teil des Moorlandes steht. Bevor die Prioren einzogen, wurde es für mehrere hundert Pfund umgestaltet. Sie leben sehr gut da draußen, die Prioren - jeder hat
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