057 - Schreckensmahl
nochmals den gleichen Saft. Offenbar seine Hausmarke?«
flüsterte ich.
Der fette Franz nickte. »Erraten.«
»Mir ein Viertel von dem 64er Rheinhessen. Ein guter
Tropfen. Ich bin ein Weinfreund«, fügte ich abschließend hinzu.
Als Franz in der Küche verschwunden war, machte Petta
sich bemerkbar. »Danke, Sie sind großzügig! So einen spendierfreudigen Mann
trifft man nicht jeden Tag. Dafür sollen Sie auch meine Geschichte hören.
Unterbrechen Sie mich bitte nicht, ich habe das nicht gern. Heben Sie sich die
Fragen für später auf!«
»Bevor Sie beginnen noch eine Frage, Herr Petta«, sagte
ich schnell. »Sie erwähnten vorhin, daß Sie anfangs alles taten, um jede Spur
zu verwischen, die Ihnen das Genick hätte brechen können. Warum setzen Sie
heute alles daran, unbedingt als Mörder verurteilt zu werden?«
»Ich gönne ihr den Triumph nicht«, preßte er zwischen den
Zähnen hervor, ohne aufzusehen. »Sie hat alles gewußt – oder sie hat es
zumindest geahnt. Sie wollte, daß ich anfing, langsam zugrunde zu gehen. Ich
sollte mich in den eigenen Schlingen, die ich gelegt hatte – fangen.
Ihr Plan war es, daß ich den Verstand verlöre, daß ich unglaubwürdig
erschiene, daß ich mehr verachtet würde, als wenn man mich hinter
Gefängnismauern in Gewahrsam nähme.
Es ist ihr gelungen! Dieses Teufelsweib!
Ich bin in Wirklichkeit nie von ihr losgekommen, obwohl
ich mir nichts sehnlicher wünschte! Sie hat mich verfolgt – ein Leben lang. Und
sie verfolgt mich noch immer. Vielleicht komme ich durch Sie jetzt einen
Schritt weiter. Vielleicht glauben Sie mir und sorgen dafür, daß ich die
verdiente irdische Strafe erhalte. Ich gehöre ins Gefängnis – nicht hierher in
dieses Wirtshaus …«
Er sprach mit schwerer Stimme, und ich wußte, daß er –
wenn er erst die zweite Flasche intus hatte, die der Wirt eben brachte
– nicht mehr in der Lage war, seine Geschichte zu Ende zu
bringen. Ich durfte keine Zwischenfragen mehr stellen. Das hemmte nur den
Fortlauf der Geschichte.
»Fangen Sie an! Erzählen Sie der Reihe nach«, sagte ich,
erwartungsvoll auf mein Gegenüber sehend.
Jörg Petta berichtete: »… ich lernte Lydia in Rio kennen.
Beim Karneval. Wir waren jung, leichtsinnig, fasziniert
vom Rausch des Festes, der Musik und der Menschen.
Wir liebten uns auf den ersten Blick. Ich muß noch
erwähnen, daß ich Mitarbeiter in einer Schlangenfarm war. Wir führten
medizinische Experimente durch. Das Schicksal wollte es, daß Lydia – das
gestand sie mir schon im ersten Gespräch – eine krankhafte Angst vor Schlangen
hatte. Schon das Bild einer Schlange konnte sie in einen hysterischen Zustand
versetzen.
Als ich das von ihr erfuhr, verschwieg ich wohlweislich
meinen wahren Beruf und sagte, daß ich Ingenieur wäre. Wir waren uns
sympathisch. Es ging bei uns alles sehr schnell.
Lydia war eine faszinierende Frau. Schön wie eine Göttin,
schlank und großgewachsen mit langen Beinen und dem Gang einer Französin. Ihr
Gesicht war schmal und edel, mit einer feinen Nase und sinnlichen Lippen. Sie
war eine Frau wie aus einem Bilderbuch, eine, nach der sich die Männer umsahen.
Und ich – hatte sie erobert! Ich war ein Glückspilz. Die
Zeit, die wir gemeinsam in Brasilien verbrachten, gehört zu den schönsten
Erinnerungen meines Lebens. Tagsüber verbrachten wir die Zeit am Strand von
Copa-Cabana, nachts streiften wir durch die Bars. Ich verpraßte mein Geld, mein
Gespartes ging drauf. Aber das war mir egal. Lydia war das wert. Das glaubte
ich noch zu jenem Zeitpunkt.
Ich gab meinen Beruf und meine Karriere auf, als
feststand, daß sie nach Deutschland zurückkehren wollte. Ich schloß mich an.
Zu diesem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, daß Lydia reich
war. Es war mir aufgefallen, daß sie mit Geld nicht gerade sparsam umging, und
daß sie nicht arm war. Aber es war mir nicht bekannt, daß sie über Millionen
verfügte.
Lydia war die Tochter eines Großindustriellen, der bei
einem Flugzeugabsturz auf einer Geschäftsreise ums Leben gekommen war. Seit
ihrem 21. Lebensjahr bestimmte sie über das Geld. Und sie teilte es geschickt
ein. Sie hatte gute Finanzberater und verstand auch selbst eine Menge von
diesen Dingen.
In Deutschland angekommen, heirateten wir. Das Geld
spielte keine Rolle zwischen uns. Wir liebten uns. Darauf kam es an.
Aber die guten Zeiten gingen vorbei. Nach vier Jahren
hatten wir uns satt. Das heißt: ich hatte es satt, von Lydia abhängig zu sein.
Ich brauchte nicht mehr
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