0570 - Vampirpest
den Karpaten. Sie wollte sein Erbe in die Welt hinaustragen und auch Feinde der Vampire vernichten. Nichts sollte diese Aktion stören. Bisher war alles ziemlich glatt gelaufen, abgesehen von der Panne in London, als das Heiratsinstitut nicht richtig funktionierte. Doch so etwas ließ sich ausbügeln. Ein Stützpunkt verschwand, ein anderer entstand.
Der Sarg war nicht nur groß, er besaß auch eine gewisse Höhe, so daß sich Reva etwas aufrichten konnte. Erst als sie mit den Haaren gegen die Innenseite des Deckels stieß, hob sie die Arme, stemmte die Handflächen gegen den Deckel, der dem Druck nicht standhielt und allmählich in die Höhe glitt.
Ein schauriger Vorgang, den nur keiner sah, da es auch in dem Verlies stockfinster war.
Nicht einmal ein leises Knarren entstand, als der Deckel so weit zurückschwang, daß die Vampire ohne Schwierigkeiten ihr schauriges Bett verlassen konnten.
Jede Bewegung war auch bei ihr einstudiert. Sie trat auf den kalten Steinboden, blieb witternd stehen und suchte nach dem Zentrum der Gefahr. Reva wußte genau, daß sie vorhanden war, nur konnte sie diesen Punkt noch nicht lokalisieren.
Kaum Trittgeräusche waren zu hören, als sie durch den Keller schlich. Sie brauchte kein Licht, die Finsternis war ihr Freund. Vor der Tür blieb sie für einen Moment stehen und konzentrierte sich auf sich selbst. Sehr genau dachte sie über ihren Zustand nach.
Wie fühlte sie sich?
Nicht so wie in der Nacht. Der Schlaf war zu kurz gewesen. Abgebrochen, mit dem Bewußtsein, auch tagsüber kampfbereit zu sein.
Sie dachte an die Tage zuvor, wo sie sich bei Tageslicht ebenfalls hatte draußen herumtreiben müssen.
Sie verließ den Keller.
Auf dem Weg in die oberen Räume des Schlosses passierte sie die Ständer mit den Kerzen, deren Dochte noch rochen, aber nicht mehr brannten.
Allmählich verschwand das Dunkel, in dem sie sich so wohl und sicher fühlte. Sie trat hinein in das graue Licht des Tages, das in die große Schloßhalle sickerte und seinen Weg durch das Gewebe der Vorhänge fand.
Nichts rührte sich in den Mauern. Nur die Schritte der bleichen Blutsaugerin waren zu hören, als sie ihren Weg fortsetzte und dem Atelier entgegenging.
Eine traurig wirkende, blasse Gestalt mit tief in den Höhlen liegenden Augen. Es war ihr nicht möglich gewesen, sich zu erholen, zudem machte ihr das Licht zu schaffen und schwächte sie noch weiter.
Wäre nicht das Bewußtsein einer drohenden Gefahr gewesen, sie hätte sich längst wieder in den Keller zurückgezogen und dort die restlichen Stunden des Tages verschlafen.
Etwas störte sie, ein Instinkt, eine Warnung, der sie unbedingt nachgehen mußte.
Im Atelier befand sich niemand. Reva starrte auf die Gemälde, die jetzt, wo sie nicht mehr vom Kerzenlicht umschmeichelt wurden, grauer und trister aussahen.
Mit schlurfenden Schritten bewegte sich die Untote auf ihr letztes Werk zu. Sie hatte in ihrem bisherigen künstlerischen Dasein viele Bilder gemalt, das aber war das wichtigste überhaupt gewesen. Eine Malerin als Untote.
Eigentlich hätte sie lachen müssen, als sie daran dachte, aber sie verkniff es sich. Dafür hob sie die Arme und fuhr sich durch das Gesicht.
In die Lücken zwischen den ausgebreiteten Fingern drängte sie Haut. Eine Haut, die sich schlaff anfühlte wie Teig. Mit den Kuppen drückte sie dagegen, zog die Finger wieder zurück, und die Kuhlen in der Haut blieben. Nur allmählich füllten sie sich wieder auf.
Mühsam setzte sie ihren Weg fort. Zwar wurden die Schritte nicht zu einer Qual, doch bei jedem Vorwärtsgehen schwankte sie von einer Seite auf die andere.
Manchmal hatte sie das Gefühl, in einen Kreis zu geraten, der sich sehr schnell bewegte, einen Trichter bildete und sie in die Tiefe zerrte.
Fliegen können, dachte sie. Ich kann fliegen. Reva streckte die Arme aus, glaubte sogar vom Boden abzuheben, fand auch Halt, nur war es der falsche.
Sie preßte ihre Handflächen gegen eine Staffelei, die dem Druck nicht standhielt und kippte.
Mit einem lauten Krach landete sie am Boden. Die Untote fiel über sie. Mit dem Gesicht schrammte sie noch über das Bild hinweg und gab ein Geräusch von sich, das an den fauchenden Laut einer kampfbereiten Katze erinnerte.
Wie eine Schwerkranke kroch sie die nächsten Meter weiter. Der gestrige Tag war einfach zu viel für sie gewesen. Sie hätte nicht so lange draußen bleiben dürfen, das rächte sich nun. Ausgerechnet jetzt hatte sie die Warnung gespürt.
Reva
Weitere Kostenlose Bücher