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0573 - Der uralte Henker

0573 - Der uralte Henker

Titel: 0573 - Der uralte Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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waren.
    Ich hatte den Schrecken in den letzten Minuten vergessen, weil mich der Anblick dieser herrlichen Bergwelt einfach zu sehr gefesselt hatte. Brutal wurde ich wieder daran erinnert, als ich gegen den Turm der Kapelle schaute.
    Dort oben stand eine Gestalt.
    Lorenzo, der Henker!
    ***
    Er war der große Sieger. Jedenfalls fühlte er sich so, wenn ich seine Pose richtig deutete. Mit einer Hand hielt er sich dicht unterhalb der Turmspitze fest, in der anderen hatte er seine Waffe.
    Das breite Schwert streckte er den Sonnenstrahlen entgegen, die sich tatsächlich auf der Klinge spiegelten und sie aussehen ließ, als wäre sie mit Feuer übergossen worden.
    Ein Bild, das faszinieren konnte, mich jedoch abstieß, denn ich wußte genau, welcher Schrecken sich hinter der Gestalt des Henkers verbarg. Mord und Todschlag, Rücksichtslosigkeit, keine Gnade, von dämonischen Urtrieben geleitet.
    Auch Bernardo hatte ihn gesehen. Er gab einen gurgelnden Laut ab und schüttelte den Kopf, weil er den Anblick nicht ertragen konnte. »Auf der Kapelle!« flüsterte er. »Ausgerechnet auf der Kapelle…«
    Die Glocke läutete weiter. Bei jedem Klang bewegte der Henker sein Richtschwert. Es sah für uns so aus, als würde er mit seiner Waffe den Rhythmus bestimmen.
    Der Mönch neben mir fürchtete sich. »Wird das Böse stark genug sein, um auch in die Kapelle einzudringen?«
    Ich wollte ihn beruhigen und sagte: »Bisher hat die Hölle im Endeffekt immer verloren. Sie kann Teilsiege erringen, das gebe ich zu, aber nie das Ganze umkehren.«
    »Darum werde ich beten.«
    Das Läuten besaß nicht mehr die Klangstärke wie noch zu Beginn.
    Es wurde dünner, ein Zeichen, daß die Mönche nun in das Gotteshaus gerufen wurden.
    Wir sahen sie gehen. Sie bewegten sich auf die Treppe zu. Keiner schaute hoch zur Turmspitze, um die sich die pechschwarze Wolke drehte.
    Der Spuk war wieder erschienen und holte seinen Helfer zurück.
    Die Wolke verdünnte sich sehr schnell und verschwand wieder.
    Normal lag der Turm vor unseren Augen.
    »Ich kann es nicht begreifen«, flüsterte Bernardo. »Wo kommt dieses Wesen her? Wo ist der Schatten geboren worden, und wo hält er sich immer auf? Kannst du mir das sagen?«
    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Könnten es andere Welten sein, John?«
    »So ungefähr.«
    Bernardo winkte ab. »Ich… ich will es auch nicht wissen. Manchmal ist es wohl besser, wenn man nicht die ganze Wahrheit erfährt. Man würde sonst verzweifeln.«
    »Ja, das kann sein.« Ich stieß ihn an. »Denk nicht mehr daran, du wolltest in die Kapelle.«
    »Natürlich.«
    »Ist es eine normale Messe?«
    »Nein, eine Art Vesper. Wir werden beten und singen. Alte Choräle aus dieser Gegend, keine gregorianischen Gesänge, wie du vielleicht angenommen hast. Ich kann leider nicht bei dir bleiben, weil wir jeder unseren Stammplatz in der Kapelle haben. Das wirst du hoffentlich verstehen, John?«
    »Natürlich.«
    Die Mauer schlug einen Bogen. An ihm liefen wir entlang und erreichten ebenfalls die schmale Eingangstür der aus hellen Steinen errichteten Kapelle.
    Ich ließ den Mönch vorgehen und drehte mich noch einmal um.
    Die Kulisse der Berge lag völlig normal vor meinen Augen. Nichts deutete auf die Anwesenheit des Spuks hin.
    Aber er war da, das wußte ich auch. Irgendwo hielt er sich verborgen und wartete auf eine günstige Gelegenheit. Besaß er wohl die Kraft und die Macht, um auch die Kapelle in seinen Besitz nehmen zu können?
    Ich hoffte nicht…
    Bernardo war schon verschwunden. Wenn ich die Mönche bei ihren Gebeten nicht stören wollte, mußte ich mich beeilen. Ich drückte die schlichte Holztür nach innen und betrat auf Zehenspitzen die von Düsternis und Kerzenschein eingehüllte Kapelle.
    Vor mir sah ich die breite Bankreihe, in der die Mönche ihre Plätze eingenommen hatten. Es gab keinen Mittelgang der zu dem schlichten Altar führte, auf dem nur ein Kreuz stand, das von zwei brennenden Kerzen flankiert wurde. Wer zum Altar wollte, mußte rechts und links an der Bankreihe vorbeigehen.
    Ich hielt mich im Hintergrund. Neben einem steinernen Weihwasserbecken, das wie ein hartes Kinn aus der Wand hervorragte; blieb ich stehen, tunkte einen Finger in das Becken und bekreuzigte mich.
    Jemand hatte auch die Kerzen an den Wänden angezündet. Sie steckten in schwarzen Eisenhaltern. Das Licht schuf rotgelbe Flecken, die auch die holzgeschnitzten Bilder des Kreuzwegs erreichten und die Motive so aussehen ließ, als würden sie

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