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0573 - Der uralte Henker

0573 - Der uralte Henker

Titel: 0573 - Der uralte Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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oder?«
    Ich hob die Schultern. »Sagen wir mal so. Immer noch besser, als im Freien zu campieren.«
    »Wenn es zu kalt wird, stellen wir kleine Öfen in die Zellen. Die Kohle wärmt auch.«
    »Das glaube ich dir.«
    Er war am Tisch stehengeblieben und druckste etwas herum. Ich fragte ihn, ob er wirklich in die Schlucht steigen und den toten Abt heraufholen wollte.
    »Ja, das werde ich. Das bin ich meinen Brüdern einfach schuldig, verstehst du?«
    »Ich bin ebenfalls dabei.«
    »Nein, John«, widersprach er, »es ist nicht deine Aufgabe. Ich bitte dich, du sollst…«
    Ich nickte ihm zu. »Mein lieber Freund, ich fühle mich trotzdem irgendwo schuldig. Ich bin es gewesen, der euch in diese fatale Lage gebracht hat.«
    »Es ist Fügung der Allerhöchsten gewesen.«
    »Vielleicht auch das. Laß dir bitte gesagt sein, daß ich dich nicht werde im Regen stehenlassen.«
    »Bis zum morgigen Tag vergeht noch viel Zeit.«
    »Stimmt. Es kann viel passieren.«
    »Wird es das auch?«
    »Möglich.«
    »Und wie ist es mit der Messe? Ich habe dich gefragt, ob du sie mit uns besuchen willst.« Er lächelte etwas spitzbübisch. »Schaden kann es bestimmt nicht.«
    »Das glaube ich auch.«
    »Dann kommst du mit mir?«
    »Ja.«
    »Die Glocke der Kapelle wird in wenigen Minuten anfangen zu läuten. Wir können uns jetzt schon auf den Weg machen, falls du nichts dagegen hast.«
    »Was sollte ich dagegen haben?«
    »Wir werden einen besonderen Weg nehmen, John.«
    »Nicht den über die Treppe?«
    »Er wäre für dich nicht gut. Du sollst auch andere Teile unseres Klosters kennenlernen.«
    »Wie du willst.«
    Wir verließen den Raum. Noch war es hell genug, um die Umgebung erkennen zu können.
    Ich atmete die kühl gewordene Luft ein. In der Nacht würde es bestimmt wieder Frost geben, aber der Schnee blieb aus. Dazu war der Himmel zu klar.
    Noch stand die Sonne knapp über dem Horizont, aber auch das bleiche Auge des Mondes war zu sehen. Er nahm ab und sah aus wie eine an der linken Seite eingedrückte Kugel.
    Wind wehte über die krummen und starren Zinnen der Berge hinweg, die im Gegenlicht der Sonne zum Greifen nahe schienen und doch weit entfernt waren.
    In den Dolomitentälern lagen bereits die grauen Schatten des anbrechenden Abends, während die Zinnen der Berge glühten, als würden sie in ihrem Innern brennen. Es war ein sehr kräftiges Rot, daß die untergehende Sonne abstrahlte.
    Wir waren einen sehr schmalen Pfad in die Höhe gestiegen, der in unregelmäßigen Abständen durch in den Untergrund geschlagene, breite Treppenstufen besser begehbar gemacht worden war. Der Pfad führte zwischen zwei Gebäuden entlang, wobei das eine, das linke, durch eine Mauer ersetzt wurde.
    Kurz vor Erreichen des Wegendes öffnete sich unser Blick. Grandios lag im Norden die Bergwelt vor uns. Bei dem klaren Wetter konnten wir weit schauen. Wenn mich nicht alles täuschte, entdeckte ich in der Ferne sogar die drei Zinnen, die berühmtesten Berge der südtiroler Dolomiten.
    Auch sie standen der Sonne im Weg und hatten Hauben aus einem kupferfarbenen Glanz bekommen.
    Ich nickte, denn ich war sehr beeindruckt.
    Neben mir lachte Bernardo leise. »Ich wußte, daß dir dieser Ausblick gefällt, John.«
    »Das kannst du sagen.«
    »Und du wirst verstehen können, daß wir uns in dieser grandiosen Bergkulisse sehr wohl fühlen. Es ist auch anders als sonstwo. Hier merkt man erst, wie klein man als Mensch tatsächlich ist im Vergleich zu diesen mächtigen Gebirgsstöcken.«
    »Das glaube ich auch.«
    »Und man kommt dazu, über sich, über das Leben und auch über die Zukunft nachzudenken. Hier werden Dinge wieder zurechtgerückt. Man sieht die Welt dann in einem anderen Licht.«
    Ich hatte mich auf die Brüstung gestützt. Beide Arme lagen angewinkelt auf den Steinen. Unter uns rauschte ein Bach entlang. Leider war es zu finster, so sah ich nicht mehr, wie er durch sein Bett schäumte. Das an den Felshängen wachsende Gestrüpp streckte uns seine kahlen Zweige entgegen und bewegte sich dabei zitternd im Wind.
    Ein dünnes Läuten unterbrach plötzlich die Stille der Bergwelt. Ich bekam einen leichten Schauer, denn das Geräusch erinnerte mich an das Bimmeln einer Totenglocke. Der Wind trug es dünn an meine Ohren, und ich drehte mich um.
    Der Turm der Kapelle war der höchste Punkt des Klosters. Er drehte sich förmlich in den Himmel hinein, um mit seiner Spitze wie mahnend und gleichzeitig anklagend die Menschen daran zu erinnern, daß sie sterblich

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