0573 - Der uralte Henker
Nach knapp einer Körperlänge begann bereits die schmale Treppe.
Der Henker stand auf der vorletzten Stufe. Gestützt auf sein Schwert schaute er mir entgegen.
Die Dunkelheit kam mir bläulich vor, zum Teil durchbrochen vom fahlen Silberschein des Mondes, der sich nicht nur auf den Klostermauern und den Wällen verteilte. Auch den Henker erwischte er und gab der Gestalt einen etwas gespenstischen Touch.
Ich ging so weit vor, wie ich es für richtig hielt, ohne allerdings die Treppe zu betreten.
»Länger hätte ich auch nicht gewartet«, sagte der Henker mit seiner dumpfen Stimme. »Es ist soweit.«
»Was willst du von mir? Du hast mich durch einen Trick hergelockt. Weshalb?«
»Weißt du es noch immer nicht?«
»Hätte ich sonst gefragt?«
Er nickte mir zu. Der Wind fächerte sein helles Haar in die Höhe.
»Ich werde ein Versprechen einlösen müssen, das ich gegeben habe.«
»Wem?«
»Meinem Befreier und Helfer, dem Spuk!«
»Und welches Versprechen ist das?«
Er zögerte die Antwort etwas hinaus. Als sie dann erfolgte, war ich baff.
»Ich habe versprochen, den Teufel zu töten!«
Sollte ich schreien, lachen, den Kopf schütteln? Ich tat nichts davon, sagte nur: »Unmöglich, Lorenzo, das ist unmöglich.«
»Nein!«
»Doch! Niemand hat es geschafft, den Teufel zu töten. Viele haben es versucht. Selbst der Spuk war nicht in der Lage, seine Macht zu brechen.«
»Ich werde seine Macht brechen, John Sinclair, und die Kontrolle in der Hölle übernehmen, und du wirst mir dabei helfen. Tust du es nicht, werde ich die Menschen in diesem Kloster umbringen und die Mauern dem Erdboden gleichmachen…«
***
Nein, verhört hatte ich mich sicherlich nicht. Jemand, der sich in einer solchen Lage wie Lorenzo befand, log einfach nicht. Er hatte mittlerweile schon zuviel eingesetzt. Das war kein Spaß.
»Hast du mich verstanden?« fragte er.
»Ja, das habe ich.«
»Und wirst du an meiner Seite kämpfen und den Teufel vernichten?«
Ich streckte ihm die Hand entgegen. »Es ist unmöglich. Seit Jahren versuche ich, den Terror zu brechen, den Asmodis verbreitet. Nein, Lorenzo, das ist nicht zu schaffen, glaube es mir.«
»Denkst du nicht an deine Freunde hier im Kloster? Willst du später in ihrem Blut waten?«
»Hör auf, Henker! Sie haben damit nichts zu tun.«
»Der Spuk und ich sind anderer Meinung.«
»Ja«, sagte ich, »der Spuk. Wie kommt es, daß er auf deiner Seite steht? Wieso hast du dich mit ihm verbündet?«
»Er war es, der mich vom harten Joch des Satans befreite. Er holte mich aus der jahrhundertealten Gefangenschaft hervor, denn mein Plan stammt nicht erst aus der letzten Zeit. Er ist bereits einige Jahrhunderte alt. Ich habe ihn nur zurückstellen müssen, ihn aber nicht vergessen. Ich fand den Weg in die Hölle, stand dem Teufel gegen über, kämpfte mit ihm…«
»Und hast verloren«, sprach ich in seinen Satz hinein.
»Ja, das ist wahr. Nur hatte ich damals keine Unterstützung. Heute bist du an meiner Seite.«
»Hat mich der Spuk empfohlen?«
»So ist es.«
»Weshalb hat er dich befreit?«
»Weil auch er den Satan haßt.«
Da hatte er nicht unrecht. Mir war das Verhältnis zwischen Asmodis und dem Spuk schon seit langem bekannt. Es war bestimmt kein freundschaftliches. »Trotzdem bist du einem Irrtum erlegen, Lorenzo. Denk nur nicht, daß der Spuk zu deinen Freunden zählt. Er ist jemand, der dich nur benutzt. Du wirst es nie schaffen, den Satan zu besiegen und selbst Höllenherrscher zu werden.«
»Einmal habe ich es schon geschafft.«
»Nicht als Herrscher.«
»Aber ich kenne den Weg in die Hölle, Sinclair!« Er hob sein Richtschwert an und zielte mit der Spitze auf meine Brust. »Ich kenne ihn sehr genau. Auch in den vergangenen Jahrhunderten hat sich daran nichts geändert. Der Weg existiert noch, und zwar hier in der Nähe, Sinclair. Jetzt weißt du, weshalb ich das Kloster ausgesucht habe. Die Mönche konnten nicht wissen, daß sie fast zum Greifen nahe den Weg zur Hölle liegen haben. Aber ich weiß es.«
»Du willst mich hinführen?«
»Ja.«
»Wie weiter?«
»Ich werde zusammen mit dir in die Hölle gehen und den Teufel besiegen!«
Ich konnte nicht anders, ich mußte einfach lachen. »Das ist der perfekte Irrsinn.«
»Laß dich vom Gegenteil überzeugen.«
»Nein, auf keinen Fall. Es hat mit Feigheit nichts zu tun, wenn du das denkst. Ich weiß einfach, daß dir der Teufel über ist. Aber wenn du unbedingt willst, kannst du gehen. Ich bin der letzte, der
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