0573 - Der uralte Henker
erschienen war, gehörte zu meinen ältesten Feinden, die sich im Reich des Schreckens versammelt hatten.
Er war der Spuk!
***
Ich bewunderte die Ruhe der anwesenden Mönche. Sie saßen auf ihren Plätzen, ohne sich zu rühren, nahmen die Ereignisse schicksalsergeben hin und griffen nicht ein.
Mir war es recht. Weniger recht war das Erscheinen des Spuks auf der Galerie.
Er war ein Dämon, den man nicht fassen konnte, weil er sich gestaltlos präsentierte. Normalerweise bestand er aus Schatten, die er eben zu diesen schwarzen Wolken verdichten konnte, so daß diese sich bewegten wie Nebel.
Aus dem Nebel heraus wurde ich angesprochen. Der Spuk grollte mir seine Worte entgegen.
»Sinclair – John Sinclair. Ich habe die Zeit genau abgepaßt, um dich zu packen.«
»Was willst du?«
»Du sollst das tun, was Lorenzo von dir verlangt. Mehr will ich von dir nicht.«
»Warum?«
»Es gehört zu unserem Plan.«
»Dann steht er also auf deiner Seite?«
»Ja!«
Ich besaß nicht die Phantasie, um eine Verbindung zwischen dem Henker und dem Spuk zu schaffen. Höchstwahrscheinlich mußte sie in der Tiefe der Vergangenheit ihren Ursprung haben. »Wenn ihr schon zu zweit seid, weshalb braucht ihr mich?«
Aus dem Zentrum der Wolke drang mir die Antwort entgegen.
»Du wirst es später begreifen, jetzt nicht. Ich will, daß du dich hier im Kloster aufhältst.«
Für den Spuk war der Fall damit erledigt. Er sprach nicht mehr weiter. Aber die Wolke blieb. Sie hatte sich inzwischen in die Länge gezogen, so daß sie wie ein schwarzer Schlauch oberhalb der Galerie lag.
Den Weg, den ich vorhin gegangen war, schritt Lorenzo in die umgekehrte Richtung.
Mit schweren, stampfenden Schritten bewegte er sich die breiten Stufen hoch. Es wunderte mich, daß sie sein Gewicht und das des Richtschwertes überhaupt aushielten.
Er tauchte ein in die Wolke, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Es war ja nicht nur so, daß wir die Wolken sahen und sie als Tatsache hinnahmen. Nein, von ihr ging etwas aus, das schlecht zu beschreiben war. Eine fast gnadenlose Kälte, ein Gefühl wie ein geisterhafter Wind, der sich auch über mich legte.
Es war der Hauch des Grauens, der Gruß aus einer fernen Schattenwelt, in der der Spuk nicht nur herrschte, nein, er war selbst diese unheimliche Welt.
Lorenzo verschwand.
Er trat in die Wolke hinein und löste sich gleichzeitig auf. Es geschah intervallweise und mit jedem Schritt, der ihn über die Galerie brachte. Seine Gestalt wurde dünner, dann war sie nicht mehr zu sehen.
Vorbei…
Auch die Wolke zog sich zurück. Sie drückte sich gegen die Wand.
Dabei sah es so aus, als wollte sie in die Poren hineinkriechen, doch sie löste sich einfach auf.
Dafür erschien Padre Bernardo. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand, umklammerte mit einer Hand seine Kehle, als wäre er dort gewürgt worden. Gleichzeitig schüttelte er den Kopf.
Klar, daß er dies nicht begreifen konnte. Ich drehte mich um, da ich hinter mir ein schweres Seufzen vernommen hatte.
Einer der dort sitzenden Mönche hatte es ausgestoßen. Er war ein älterer Mann. Sein Kinn hielt er auf beide Hände gestützt, die Augen blickten traurig gegen die Tischplatte. Für ihn und alle anderen mußte mit dem Eindringen dieser Kreaturen eine Welt zusammengebrochen sein. Dann begann er zu sprechen. Er redete italienisch, so daß ich nur einige Brocken verstand.
»Wir haben in dieser Bergwelt ein Refugium des Glaubens geschaffen«, murmelte er. »Wir haben alles getan, um das Böse aus diesen Mauern fernzuhalten. Jetzt ist es eingedrungen. Warum nur?« fragte er laut und schaute mich dabei an. »Warum?«
Ich hob die Schultern. Eine andere Antwort konnte ich ihm nicht geben.
»Es muß etwas mit dir zu tun haben, John!« meldete sich Bernardo von der Galerie. »Wir haben es alle gehört. Du bist die Person, auf die es ihnen ankommt. Wir wurden nur benutzt.« Er stand dort oben und stemmte seine Hände gegen das Geländer. »Du und kein anderer, das ist ja das Schlimme.«
Danach redete der Alte. »Der Herrgott hat uns eine schwere Prüfung aufgelegt. Ich werde mit dafür sorgen, daß wir sie durchstehen.« Um mich kümmerte er sich nicht. Statt dessen gab er zwei Mönchen ein Zeichen, sich um den verletzten Bruder zu kümmern.
Inzwischen war auch Bernardo die Treppe hinabgestiegen. Ich erwartete ihn achselzuckend. »Es tut mir leid für euch«, sagte ich leise.
»Es tut mir so leid…«
»Was soll ich dazu sagen…«
»Bitte, Bernardo, ich
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