0575 - Vampir-Gespenster
angenommen.«
»Welche denn?«
»Nein, laß uns davon nicht reden. Es waren jedenfalls schlimme Sachen, wirklich.«
»Wie du meinst.«
Sie schaute ihn an, sie lächelte verhalten und sagte dann: »Du hast gar nicht geatmet.«
»So? Habe ich das?«
»Ja, Richard. Auch jetzt atmest du nicht. Ich weiß nicht, du sprichst, ohne Luft zu holen.«
»Ach nein.«
Fatima bekam plötzlich Angst. Lag vor ihr ein Fremder, oder war es tatsächlich ihr Bruder, der ihr jedoch in dieser langen Nacht so fremd geworden war?
Er griff zu. Das tat er blitzschnell, sie konnte nicht mehr ausweichen. Seine Hand umklammerte ihr Gelenk wie die Backen eines Schraubstocks.
»Du tust mir weh, verdammt!«
»Tatsächlich?« Er grinste sie an und schob ihr dabei sein Gesicht entgegen. Es war ein Lächeln, das sie verwirrte, so anders, hinterhältig, auch gierig.
Dann sah sie seine Zähne.
Zwei davon waren lang, schimmerten kräftiger als die anderen, kamen gut zur Geltung. Die Spitzen fielen auf. Die kalte Hand, das Nichtatmen, die Zähne, da addierten sich drei Dinge zu einem furchtbaren Ergebnis.
Richard war zu einem Vampir geworden!
Das Wissen traf Fatima schockartig. Es rann ihr kalt den Rücken hinab. Sie begann zu zittern und sah nicht mehr Richards Gesicht vor sich, dafür das ihrer alten Großmutter, die sehr viele Geschichten kannte.
Sie hatte unter anderem auch von Vampiren erzählt, den fürchterlichsten der Untoten, den ältesten, die mal vermodert und halbverwest auf Blutjagd gehen konnten, dann wieder so raffiniert waren, daß sie sich modisch verkleideten, wie sie es stets nannten.
Ja, die Großmutter hatte an Vampire geglaubt, und sie sogar gesehen, wie sie immer behauptete. Deutlich klang noch die Warnung in ihrer Stimme nach, wenn sie mit der kleinen Fatima gesprochen hatte. »Wenn du sie jemals siehst oder sie dir begegnen, dann flieh vor ihnen! Lauf weg, so schnell du kannst. Sollte es dir nicht mehr möglich sein, hier hast du ein kleines Kreuz, auch das wird dich schützen.«
Fatima hatte von ihr das Kreuz bekommen, es umgehängt und versprochen, es in Ehren zu halten.
Das Versprechen galt nicht mehr. Irgendwann im Laufe der Zeit war das Kreuz verschwunden, sie hatte es verloren und wußte nicht einmal, wo das gewesen war.
Ohne Kreuz war sie durch das Leben gegangen, ohne Schutz. Und dann sah sie einen Vampir, nein, sie spürte ihn sogar, wie er mit seiner Kraft Fatima zurückdrückte und sich langsam über sie beugte, wobei er den Mund noch weiter öffnete.
Er wollte den Biß!
Fatima wehrte sich nicht. Sie wußte, daß Vampire Blut tranken, sie mußten es einfach haben, um ihre furchtbare Existenz weiterführen zu können.
»Nein, Richard, bitte… nicht!«
»Doch!«
Seine Zähne kratzten und streichelten gleichzeitig über ihren Hals.
An der linken Seite spürte sie die Berührung, die in einem scharfen Schmerz endete, als der Vampir zubiß.
Fatima bäumte sich auf. Sie streckte ihren Körper dem Vampir entgegen, ohne etwas erreichen zu können. Der Blutsauger war immer stärker. Er hatte seine Lippen fest gegen ihren Hals gepreßt, bewegte sie, wobei aus seiner Kehle ein tiefes Knurren drang. Dieses Geräusch tat ihm wohl, es tat ihm gut, er war zufrieden.
Fatima sah, daß der Wagen in einem grauen Schattenmeer verschwand. Es zerrte, zog und schaffte auch sie.
Der Strudel war da, riß sie hinein, schluckte sie und würde sie für normales Leben nicht mehr freigeben.
Richard aber fühlte sich gesättigt. Eine innere Zufriedenheit durchströmte ihn, als er von seiner Schwester abließ und sich neben sie auf den Rücken legte.
Zwei Gestalten, bleich, leblos und doch voller Gier lagen im Wagen.
An seinem Ende entstand eine Bewegung. Die Plane klappte in die Höhe, und eine Gestalt kletterte auf den Wagen.
Aufrecht hinstellen konnte sich der erste Blutsauger nicht. Er blieb hocken und schaute auf seine beiden Opfer, die zu seinen Helfern geworden waren.
Eine große Hürde war genommen. Der Vampir rieb in wilder Freude beide Handflächen gegeneinander. Nach der Niederlage hatte es besser geklappt, als er es sich vorstellen konnte. Die erste Hürde war überschritten worden.
Er lachte rauh und zog mit zwei Fingern die Falten seines Gesichts nach, die sich von den Nasenflügeln bis hin zu den Mundwinkeln erstreckten und tief in die Haut eingegraben waren.
Er war nun froh, seine Pläne geändert zu haben. Noch vor wenigen Tagen wollte er die Aktion D durchführen, dann aber war ihm etwas anderes in
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