0576 - Ein Mutant verschwindet
Es schien völlig abgestorben zu sein.
Alaska stöhnte und sank auf dem Sims in sich zusammen. Er fühlte sich wie nackt. Behutsam schob er die Plastikmaske wieder über sein Gesicht.
Er blickte über den Rand des Simses.
Kytoma schwebte noch immer dicht über dem Band und sah zu ihm herauf.
„Kommst du jetzt?" erkundigte sie sich.
Alaska preßte die Zähne aufeinander. Er kämpfte gegen das Gefühl an, das ihn seit Betreten der Stadt beherrschte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Aufdringlichkeit dieser Stadt zu ignorieren. Langsam schob er seine Beine über den Sims. Seine Füße berührten das laufende Band. Er erwartete, davongerissen zu werden, doch es geschah nichts. Da erst begriff er, daß er einer Täuschung zum Opfer gefallen war. Eine dünne Schicht transparenten Materials bedeckte das Laufband. Diese Schicht bewegte sich nicht. Sie war es auch, die Kytoma eine Haltung ermöglicht hatte, die Alaska fälschlich als Schwerelosigkeit angesehen hatte.
Schwankend kam Alaska auf die Beine.
„Diese Stadt", brachte er hervor. „Lebt sie?"
„Nein", sagte Kytoma.
„Aber ich kann sie spüren!"
„Es ist die Seele der Stadt", erklärte sie. „Jede unserer Städte besitzt eine Seele. Wir könnten sonst nicht in ihr leben. Die Stadtseele garantiert uns ein harmonisches Zusammenleben, denn sie zeigt gnadenlos auf, wenn jemand nicht in dieses System paßt. Kein Mitglied unseres Volkes hätte in einer solchen Stadt leben können, wenn es negative Absichten zu verwirklichen versucht hatte."
„Und wie funktioniert das?" erkundigte sich der Terraner. „Gibt es irgendwo eine mächtige Positronik?"
Das Mädchen schüttelte so heftig den Kopf, daß ihre langen Haare flogen.
„Diese Stadt hat eine Seele, ein Bewußtsein. Sie erhielt sie von unserem Volk."
„Bewußtsein?" echote Alaska. „Das wurde aber bedeuten, daß sie bis zu einem gewissen Grad als lebendig gelten kann."
„Nach dem Standpunkt unseres Volkes ist nur jemand lebendig, der verantwortlich schöpferisch tätig ist."
„Das ist ein strenger Maßstab", gab Alaska zu bedenken. „Ich weiß auch nicht, ob ich eine Einrichtung wie diese Stadt für richtig halten soll. Sie ist die perfekte Kontrolle aller Gefühle und Gedanken. Nichts bleibt geheim. Das verstoßt gegen die persönliche Freiheit."
Kytoma lächelte.
„Ich dachte mir, daß du so darüber urteilen würdest. Aber ein Volk, das wie wir die Mittel besitzt, ein Universum zu zerstören, muß sich dieser Kontrolle fügen. Wir dürfen kein Risiko eingehen.
Deshalb können in unseren Städten, wo uns alle Machtmittel zur Verfügung stehen, nur diejenigen leben, die bereit sind, alle negativen Einflüsse abzulehnen."
Alaska überlegte einen Augenblick.
„Die Stadt wird mich ausstoßen", prophezeite er. „Ich habe versucht, sie mit meinem Cappin-Fragment anzugreifen."
„Die Stadt wird dich nicht ausstoßen, weil ich in der Lage bin, für dich zu garantieren und weil du keine Möglichkeit hast, unsere Machtmittel zu benutzen."
„Weil ich zu dumm bin?" fragte Alaska bitter.
Er erhielt keine Antwort.
Kytoma setzte sich in Bewegung. Obwohl der psychische Druck nachließ, fühlte Alaska noch immer die Anwesenheit der Stadtseele wie die Nähe eines lebendigen Wesens. Er überlegte, woraus das Bewußtsein der Stadt bestehen mochte. Gab es eine Biopositronik? Oder entstand das Bewußtsein dieser Stadt einfach aus der Harmonie ihrer Bestandteile. Mußte man gewisse Materialien nur in bestimmter Form zusammenfügen, um ihnen abstraktes Leben zu verleihen?
Die Aussprüche alter Künstler fielen Alaska ein. Sie hatten immer von der „Lebendigkeit" ihrer Werke gesprochen. Auf diese Stadt war dieses Wort anzuwenden.
Der Maskenträger folgte dem Mädchen, das das Laufband überquerte und sich auf die graue Wand zu bewegte.
„Ich werde dich ins Innere der Stadt führen", kündigte sie an.
„Dort wirst du feststellen, daß es sehr schön ist. Du wirst glücklich sein, hier zu leben."
„Nein", widersprach Alaska. „Hier wird niemals meine Heimat sein. Ich möchte zur Erde zurückkehren."
Es war die völlige Fremdartigkeit dieser Stadt, die ihn zu dieser Entscheidung zwang. An die Eigenarten dieser Umgebung würde er sich nie gewöhnen können. Es war für einen Menschen unerträglich, sich in jeder Sekunde beobachtet zu fühlen, auch wenn es nur aus der Anonymität heraus geschah.
Trotzdem folgte er Kytoma, denn er wollte feststellen, wie es in den anderen „Räumen"
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