0577 - Gebieter der Nacht
um sich selbst die Ruhe zu verschaffen, die er bevorzugte.
Warum dieser feiste Vampir ihn angegriffen hatte, war ihm nicht klar. Aber der Dicke mit den schlechten Zähnen, von denen einer im Kampf abgebrochen war, hatte sich wahrhaft Mühe gegeben, Morano in eine Falle zu locken und zu töten. Er hatte einen Diener mitgebracht, und er hatte auch die Frau zu seiner Dienerin gemacht, die Morano eigentlich für sich beanspruchte.
Das bedeutete, daß er Morano beobachtet hatte!
Der Angriff war nicht spontan erfolgt, sondern vorbereitet worden.
Warum?
Plötzlich dämmerte es Morano.
Er mußte dem Dicken ins Gehege gekommen sein. Vermutlich war der Bereich, in dem Morano nach seinem Erwachen auf Jagd gegangen war, das Revier seines Gegners gewesen!
Nun, Morano selbst hatte nie einen bestimmten Bereich für sich allein beansprucht, wie es bei vielen anderen Vampiren üblich war, besonders bei denen aus der Sarkana-Sippschaft. Er war ein Wanderer, er ließ sich dort nieder, wo es ihm gefiel, um hier und da Opfer zu suchen und dann wieder zu verschwinden. Er fühlte sich überall wohl, wo es Menschen gab - warmes, frisches Blut.
Er war unabhängig.
Viele verstanden das nicht.
Vor allem jene, die zu bequem waren, ihre Heimaterde ständig mit sich führen zu müssen, in ihrem Sarg, wo sie den Boden bedeckte. Sie glaubten auch, daß diese Erde dann fernab ihrer Heimat nicht mehr genügend Kraft besaß, die auf sie überfließen könnte. Um so verhaßter waren ihnen die »Wanderer«, die ihnen ihre Reviere streitig machten.
So mußte es auch hier gewesen sein.
Damals, als Morano sich seinem langen Schlaf hingab, war dieses Territorium frei gewesen. Der Dicke mußte erst später hier aufgetaucht sein, und Morano hätte somit ältere Rechte für sich beanspruchen können. Aber zum einen wollte er das nicht, und zum anderen war alles zu schnell gegangen.
Jetzt lag der Dicke reglos vor ihm auf dem Teppichboden des Wohnzimmers und konnte ihm keine Fragen mehr beantworten…
Tan Morano wandte sich wieder der Frau zu.
Sie war ins Schlafzimmer geflohen, als Morano den Dicken und dessen Diener erschlagen hatte. Vielleicht hatte sie allein nicht mehr gegen Morano kämpfen können, vielleicht aber war da auch noch etwas von dem in ihr, das Morano ihr eingepflanzt hatte und das sie von einer direkten Attacke abhielt.
Er kam zu ihr.
Wieder wehrte sie sich.
Aber er besänftigte sie auf seine Weise…
Wieder trank er ihr warmes, in Angst und Furcht wallendes Blut. Abermals floß im Gegenzug sein Keim in ihr Leben. Widerstreitende Empfindungen kämpften in Sue Tanner gegeneinander.
Aber sie hatte sich verändert.
Dafür hatte der Keim des anderen gesorgt.
Morano hatte eigentlich mehr von ihr gewollt. Mehr, als sie ihm jetzt noch bieten konnte. Er hatte sie zwar wieder unter seiner Kontrolle, doch das andere konnte er in ihr nicht mehr auslöschen.
Sie war zur Dienerin zweier Herren geworden. Daß der zweite Herr jetzt vernichtet war, änderte daran offenbar nichts - was Morano allerdings ein wenig verwunderte.
Eine Stunde vor Morgengrauen ging er.
Er verließ die Wohnung über den Balkon, so wie in der vergangenen Nacht.
Beim nächsten Mal würde er sehen, was sie aus der Situation gemacht hatte, in der er sie zurückließ.
Absichtlich ließ er den erschlagenen Vampir und dessen Diener bei ihr zurück.
Wäre Sue Tanner noch vollständig sein gewesen, hätte er sich vielleicht um die Beseitigung der beiden Leichen gekümmert. Aber jetzt erschien es ihm unlogisch, diesen Aufwand zu betreiben.
Er verschwand, wie er es immer tat.
Ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen…
***
Am späten Vormittag erwachte Sue. Sie schreckte aus verwirrenden Alpträumen auf.
Sie war müde, sie hätte am liebsten weitergeschlafen und war schon drauf und dran, die Augen wieder zu schließen, als ihr einfiel, daß sie nach Beaminster mußte.
»O nein«, seufzte sie auf. »Nicht schon wieder…«
Nicht schon wieder zu spät kommen! All right, gestern war es nicht so schlimm. Aber heute… heute kommen die Schulungsteilnehmer. Heute muß ich rechtzeitig da sein und mit dem Seminar beginnen, zumindest die Einführung… Alles gerät durcheinander…
Sie setzte sich auf, faßte sich an die Stirn. Um sie drehte sich alles.
Zu niedriger Blutdruck, diagnostizierte sie. Schwindelgefühle… Sue, du bist krank,
Aber sie konnte sich nicht einfach krankmelden. Sie war eine Verpflichtung eingegangen. Wenn sie die nicht einhielt, bekam sie kein
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