0578 - Die Geisel
war über die finanziellen Mittel ihres Vaters informiert.
Auch wenn er Geld verlieh, so groß war die Summe nicht, die ihm zur Verfügung stand.
Irgendwann war sie dermaßen erschöpft, daß ihr die Augen zufielen und sie einschlief.
Sie sackte förmlich in den Tiefschlaf, aus dem sie durch Geräusche herausgerissen wurde. Laute Stimmern erreichten ihre Ohren. Zunächst hatte sie an eine Täuschung geglaubt, an einen Traum, auch an einen Wunsch, bis ihr klar wurde, daß die Stimmen real waren.
Sie mußten irgendwelchen Arbeitern gehören, die auf dem Güterbahnhof beschäftigt waren. Sofort war wieder Hoffnung in ihr aufgestiegen. Sie hatte schreien wollen, nicht einmal dazu fand sie die Kraft.
Was über die Lippen gedrungen war, konnte nur mehr als Krächzen bezeichnet werden.
Aber der Wagen bewegte sich.
Von der rechten Seite her bekam er mehrmals schnelle Stöße mit, die das Mädchen durchschüttelten.
Marion hatte gesessen, ohne die Stöße ausgleichen zu können. Sie kippte sehr langsam, fiel auf den Rücken und auch auf die Seite. Mit den gefesselten Händen rollte sie sich herum und so weit zurück, daß sie die Wand als Stütze im Rücken spürte.
Jetzt klappte es besser.
Stoß auf Stoß erwischte den Güterwagen. Ihr war längst klar geworden, daß jemand einen Zug zusammenstellte. Das kam ihr gerade recht. Ihr Bewacher hatte damit bestimmt nicht gerechnet. Mit etwas Glück entwischte sie ihm.
Für Marion Brookman begann abermals eine Zeit des Wartens und des Hoffens.
Sie hatte auch wieder Mut gefaßt und geschrien, nur mußte sie über sich selbst lachen. Diese Rufe gingen in den Ankopplungsgeräuschen einfach unter.
Plötzlich war es wieder ruhig.
Marion Brookman hockte starr in der Ecke und rührte sich nicht.
Sie lauschte nur. Was würde sich ändern? Sie konnte sich kaum vorstellen, daß der Zug auf dem Gleis stehenblieb. Da mußte einfach etwas passieren.
Es fiel Marion in ihrer Lage schwer, logisch zu denken. Sie war allerdings davon überzeugt, daß mittlerweile der Güterzug zusammengestellt worden war.
Marion betete, hoffte, daß sich der Zug endlich in Bewegung setzte, bevor der Maskierte zurückkehrte. Sie schaute wieder durch den Spalt an der Wagenwand.
Noch hatte sich nichts verändert. Weiterhin sah sie das triste Bild des Güterbahnhofs. Eine Uhr trug sie nicht, die Sonne schien auch nicht, so konnte Marion nur raten, wie spät es ungefähr sein konnte.
Der Mittag war längst vorbei, der Nachmittag auch schon. Also lief es auf den frühen Abend zu.
Noch hatte die Dämmerung nicht eingesetzt, nur der Himmel zeigte eine graue Trübung. Zudem nieselte Sprühregen aus den tief hängenden Wolkenbänken.
Wieder bekam der Wagen einen Stoß. Diesmal konnte sich Marion abfangen. Sie fiel nicht.
Irgendwo in der Ferne ertönte ein schrilles Signal. Das Zeichen für den Start des Güterzugs.
Abermals der Ruck!
Sehr hart, sehr direkt. Marion Brookman hatte Mühe, ihr Gleichgewicht zu halten. Mit der Schulter schabte sie an der rauhen Innenwand, entlang. Etwas Spitzes drang durch den Stoff in ihre Schulter und hinterließ eine blutende Wunde.
Das alles interessierte sie nicht einmal am Rande. Für Marion Brookman zählte allein die Tatsache, daß sich die lange Wagenschlange in Bewegung setzte.
Der Zug fuhr…
Und der Maskierte war nicht da. Er hatte es nicht für nötig befunden, zu seiner Geisel zurückzukehren.
Als Marion darüber nachdachte, mußte sie zunächst den Kopf schütteln. Es wollte einfach nicht in ihr Hirn. Sie lachte leise, dann immer lauter, obwohl das Geräusch vom Rollen der kaum gefederten Räder übertönt wurde. Es war halt kein Intercity.
Marion hatte sich hingesetzt und den Kopf gegen die Innenwand gelehnt. Für die nächsten Minuten blieb sie so hocken, ohne sich zu rühren. Die Augen hielt sie halb geschlossen. In dieser Lage konnte sie sich besser konzentrieren und auch entspannen.
Über Züge, besonders Güterzüge hatte sie nie zuvor in ihrem Leben nachgedacht. Diese Dinge hatten nicht dazugehört. Die nahm man einfach hin.
Aber jetzt sah es anders aus. Gefesselt wie eine mittelalterliche Hexe hatte man sie in das stinkende Viereck gesteckt. In der Tat stank der Wagen. Sie hatte noch nicht herausgefunden, wonach, ein Teergeruch war allerdings vorhanden.
Plötzlich lachte sie. Zunächst irgendwie unmotiviert, bis ihr einfiel, daß sie einfach lachen mußte, weil sie, ohne es zu wollen, ihrem Entführer einen Streich gespielt hatte. Ewig würde
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