0578 - Die Geisel
Mutter…«
»Denk an den Blutstein, Sinclair. Solange ich ihn nicht in meinen Händen habe, wirst du auch deine Mutter nicht sehen. Das ist ganz einfach.«
»Und weiter?«
»Ich will wieder auf den Schrei zurückkommen.«
»Nein, erst der Blutstein.«
»Darüber werden wir reden, wenn wir uns persönlich gegenüberstehen. Aber hüte dich vor Dracula.«
»Was willst du?«
»Mich zunächst einmal bedanken, daß du mir die geforderte Summe gebracht hast.«
»Keine Ursache.«
»Meine Verkleidung war gut, nicht wahr? Du hast bestimmt für eine Weile nicht gewußt, wer sich dahinter verbirgt.«
»Komm zur Sache.«
»Ich bin dabei. Erinnere dich an den Schrei. Du hast ihn noch sicher im Gedächtnis?«
»Allerdings.«
»Es war nicht deine Mutter, die geschrien hat. Im Moment beschäftige ich mich mit einer gewissen Marion Brookman.«
»Das habe ich mir gedacht.«
»Schön. Das Blut ihrer Schwester hat mir übrigens hervorragend gemundet. Wirklich, Sinclair…«
»Es gibt sie nicht mehr!«
»Auch das ist mir bekannt. Und es wird die kleine Marion bald auch nicht mehr geben, wenn du nicht genau tust, was ich dir sage.«
»Was soll ich tun?«
»Zunächst auf meinen Anruf warten. Im Lauf des Tages, wahrscheinlich aber bei Anbruch der Dunkelheit werde ich mich wieder mit dir in Verbindung setzen.«
»Und weiter…?«
Noch einmal hörte ich den Schrei. Schrill, einfach furchtbar. Sekundenlang gellte er mir in den Ohren.
Dann war es still, bis auf das Freizeichen, das wie ein höhnischer Gruß aus der Muschel tönte…
***
Stunden der Angst, des Horrors, des Grauens, der zur Realität gewordenen Alpträume, das alles hatte Marion Brookman hinter sich.
Und sie hatte sich selbst schreien hören.
Einfach grauenhaft…
Nie hätte sie gedacht, dermaßen schreien zu können. Hinein in das Mikrofon, das ihr der Vampir vorgehalten hatte. Er hatte ihre Schreie auf Band verewigt und sie dann allein gelassen, ohne daß Marion die Chance bekam, sich zu befreien.
Sie war und blieb gefangen.
Wenn sie sich bewegte, vernahm sie eine für sie widerliche Musik.
Dieses leise, verdammte Klirren der Kettenglieder.
So etwas zerrte an ihren Nerven. Das traf sie wie ein harter, tiefer Schock. Wobei es ihr gleichzeitig anzeigte, daß sie aus eigener Kraft nicht freikommen würde.
Bewußtlos war sie noch am Zaun geworden. Was danach passierte, hatte Marion nicht mitbekommen. Jedenfalls war sie in einem relativ großen Gefängnis erwacht. Zunächst hatte sie gedacht, in einem Zimmer zu sein, bis das Licht des Tages durch Lücken und Ritzen gefallen war und das Innere des Gefängnisses erhellt hatte.
Zunächst hatte sie es nicht glauben wollen, aber es bestand kein Zweifel.
Der Kapuzenträger hatte sie in einen alten Eisenbahnwaggon geschleppt und dort allein und gefesselt zurückgelassen: an zwei lange Ketten gebunden. Einmal umspannten die Manschetten ihre Armgelenke, zum anderen die an den Füßen. Sie ließen ihr eine gewisse Bewegungsfreiheit, kleine Schritte konnte sie gehen und auch die Arme bewegen, aber sie schaffte es nicht, die Arme zur Seite zu strecken. Sofort spannte sich die Kette.
Das gleiche war bei den Füßen der Fall. Dennoch – mit kleinen Schritten konnte sie den Waggon durchqueren, auch die Tür erreichen, nur hatte dies keinen Sinn.
Die war abgeschlossen, von außen wahrscheinlich verriegelt und verschlossen.
Der Kuttenträger hatte eben an alles gedacht.
Marion war zurückgeblieben. Er hatte ihr nicht gesagt, wo er hingehen wollte, aber das Band hatte er mitgenommen.
So vergingen die Stunden.
Die Zeit steigerte sich zu einer quälenden Folter. Manchmal war Marion dicht an einen Spalt in der Wagenwand herangetreten und hatte so nach draußen geschaut.
Viel konnte sie nicht sehen. Der Wagen stand irgendwo auf einem einsamen Gleis eines Güterbahnhofs. Auf den Nebengleisen hatte sie ebenfalls Waggons gesehen, leider keine Arbeiter, die hier zu tun hatten. So nutzte auch das Schreien nichts.
Irgendwann würde er zurückkommen, das hatte ihr der Maskierte versprochen. Dann würde er das Finale einläuten, über das sich manche Menschen wundern sollten.
Noch blieb es ruhig…
Marion fror. Im Wagen war es kalt. Hin und wieder stand der Wind ungünstig. Dann pustete er durch die Ritzen. Sie wußte nicht, weshalb man sie noch festhielt. Das Geld hatte der Erpresser bekommen. Wollte er noch einmal eine Summe herausschlagen?
Die würde ihr Vater nicht zahlen können, das wußte sie. Marion Brookman
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