058 - Das Monster
genügte Clive Walters, um ihn als Besitzer der ihm bekannten Stimme zu identifizieren. Es war Brutus Cassidy, einer der berüchtigsten Schmuggler und Schieber von London. Seine Anwesenheit hier bedeutete, daß auch Bolton seine Finger in unsauberen Zollgeschäften hatte. Vielleicht, dachte Clive, hatte er auf diese Weise seine Millionen gemacht. Vielleicht war er nicht nur der Kopf eines Wirtschaftsimperiums, sondern auch der einer Verbrecherorganisation. Clive machte sich keinerlei Illusionen darüber, wes Geistes Kind Bolton war, aber die so offensichtliche Verbindung zwischen Bolton und Cassidy war doch ein Schock für ihn. Es war die Bestätigung eines lang gehegten Verdachts.
Der Sicherheitsbeamte folgte Cassidy bis zur Kellertreppe. Als der Gangster sich bückte, war er schon über ihm. Clive Walters beherrschte zwei Arten des Kampfes. Die eine, mit der er es im sportlichen, fairen Wettkampf mit dem besten Athleten aufnehmen konnte, und die andere, die anzuwenden er von Zeit zu Zeit gezwungen war. Einen Gegner wie Brutus Cassidy faßte man nicht mit Glacehandschuhen an. Clive war sich seiner Fähigkeiten durchaus bewußt, aber nur ein Dummkopf hätte Cassidy eine Chance zur Gegenwehr gelassen.
Cassidy bemerkte seinen Gegner erst, als er dessen eisenhartes Knie in seinem Gesicht spürte. Dann schickten ihn drei kräftige Schläge ins Reich der Träume. Walters schleifte den schlaffen Körper aus der Nähe der Falltür. Es war kaum anzunehmen, daß der Mann tot war, obwohl Clive wirklich hart zugeschlagen hatte. Er wußte aber, daß Cassidy hart im Nehmen war, überdurchschnittlich hart. Darum hatte er auch dementsprechend zugeschlagen. Clive Walters verabscheute diese Seite seines Berufs. Er hatte es getan, weil es notwendig war wie die allwöchentliche Wagenwäsche. Es gehörte zu jenen unangenehmen Dingen, die man so lange wie möglich aufschiebt und dann, wenn sie notwendig werden, schnell und gründlich erledigt.
Er schloß die Tür des kleinen Vorraums, in dem er den schlaffen Körper von Boltons Nummer Eins versteckt hatte. Aus dem Keller dröhnte plötzlich ein Höllenlärm. Ein Zittern durchlief das ganze Gebäude, als wollte das alte gotische Gewölbe unter ihm zusammenbrechen. Einen Moment lang dachte Walter an Durger, aber sein Mitleid schmolz schnell dahin. Es war sicher kein Vergnügen, dort unten mit dem Riesenaffen eingeschlossen zu sein. Das wußte er aus eigener Erfahrung. Aber die Bewohner dieses Hauses strahlten eine so kalte, berechnende, unmenschliche Atmosphäre aus, daß es Clive einfach unmöglich war, ihnen Mitgefühl entgegenzubringen. Eine Tür am Ende des Flurs wurde heftig aufgestoßen, und eine unbeschreiblich sonderbare Gestalt stapfte mit schnellen, ärgerlichen Schritten auf die Kellertür zu. Es war eine Frau, falls das Geschöpf überhaupt irgendein Geschlecht hatte. Eine alte, völlig formlose Frau. Clive glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Sie trug ein langes Nachthemd mit reichen Stickereien im Viktorianischen Stil, das über den Boden schleifte. Ihr runder Kopf saß auf einem dürren, knochigen Hals und war bedeckt mit einer weißen Wollmütze, unter der wirre Haarbüschel hervorlugten. Sie sah unmöglich aus, wie eine häßliche, graue Puppe, die wochenlang im Aschenkasten gelegen hat. Clive Walters war fast sicher, Madame Latski vor sich zu haben.
Während des Krieges war sie eine der raffiniertesten Spioninnen, Doppelagentinnen und Gott weiß was noch gewesen. Lange Zeit war sie dann untergetaucht. Man nahm an, und viele hofften es, daß Madame Latski nicht mehr unter den Lebenden weilte. Jetzt schien sie noch äußerst lebendig! Aus der Tasche ihres sackähnlichen Nachtgewands zog sie ein Schlüsselbund hervor und öffnete die Kellertür. Die Tür zum Labor flog auf, und heraus traten der exzentrische Millionär und zwei der widerwärtigsten Kreaturen, die Clive Walters seit langer Zeit gesehen hatte. Er nahm an – und das mit Recht – daß diese beiden miesen Figuren mit Brutus Cassidy unter einer Decke steckten. Trotz ihres Alters, und obwohl sie relativ gebrechlich wirkte, hob Madame Latski die Kellertür ein Stück hoch und spähte hinunter in die Dunkelheit.
„Was geht da unten vor?“ Der gedrungende, verfettete Muskelprotz packte die Kellertür und öffnete sie schwungvoll. Er zog eine Taschenlampe hervor und leuchtete hinab.
„Großer Gott, es ist frei!“
Walters spürte, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat.
Ein
Weitere Kostenlose Bücher