058 - Der Duft von Sandelholz
Zwischenzeit war sie im Reitkleid zum Hinterausgang hinausgeschlüpft.
„Hier ist sie, Miss. Gestriegelt und geputzt, gefüttert und getränkt - und bereit zum Aufbruch."
Als sie das rhythmische Klappern der Hufe hörte, drehte Lily sich um. Um ein Haar hätte sie das Pferd mit offenem Mund angestarrt, jenes Tier, das Derek ihr als Geschenk versprochen hatte. Sie glaubte ihren Augen kaum zu trauen. Das war ein Wunder!
Nach kaum einer Woche unter Dereks geschickter und kundiger Pflege, strotzte die vorher so zerschundene und gequälte Stute vor Gesundheit. Ihr Fell glänzte wie ein neuer Kupferpfennig, in die blonde Mähne war ein rotes Band geflochten, das zu der dicken roten Satteldecke passte, die weich war und ein Monogramm trug: MN.
Mary Nonesuch. Ihre Namensschwester.
Ein kleines Lächeln umspielte Lilys Lippen, als sie die behandschuhte Hand über den glatten, starken Nacken des Pferdes gleiten ließ. „Gutes Mädchen. Erinnerst du dich an mich? Ja, das tust du, oder? Ich habe dir all die herrlichen Äpfel und Karotten gegeben", murmelte sie. „Er hat gut für dich gesorgt, nicht wahr? Du siehst jetzt aus wie die Ballkönigin."
Derek hatte neues Zaumzeug für die Stute gekauft sowie einen Damensattel von hervorragender Qualität. Rote Stickereien verzierten das tiefdunkle Braun. Lily nahm sich einen Moment lang Zeit, damit sich das Pferd an sie gewöhnen konnte, streichelte die Wange des Tieres und kraulte den weißen Stern auf dessen Stirn.
Der liebenswürdige, ruhige und vertrauensvolle Ausdruck in den großen braunen Augen der Stute stand völlig im Widerspruch zu dem Leid, das sie hatte ertragen müssen.
Es versetzte ihr einen Stich, dann nickte sie dem Stallburschen zu, als Zeichen, dass sie jetzt bereit war aufzusitzen.
Er half ihr in den Damensattel. Lily strich ihre Röcke glatt und nahm die Zügel in die Hände. Sie hatte nicht mit dem überwältigenden Gefühl gerechnet, was es bedeutete, auf ihrem eigenen Pferd zu sitzen.
Als kleines Mädchen hatte sie ein kleines stämmiges Pony besessen, um auf dem Anwesen ihres Großvaters umherzureiten. Aber seitdem waren Jahre vergangen, und nie wieder hatte sie die Gelegenheit bekommen, zu reiten, wohin sie wollte und wann sie wollte. Sie fühlte, wie eine neue Kraft und Selbstvertrauen sie durchströmten. Wo waren diese Gefühle während der letzten Jahre geblieben?
„Nun, diese Verbindung wurde im Himmel geschlossen", sagte der erste Stallbursche mit einem bewundernden Lächeln. Dabei nahm er seine Mütze ab und fuhr sich durch das zerzauste blonde Haar.
Der andere Junge hielt ihr eine Reitgerte hin, doch Lily dachte daran, wie der grausame Kutscher die Peitsche benutzt hatte. Sie schüttelte den Kopf. „Ich denke, wir werden auch ohne die gut zurechtkommen."
„Sie werden nicht zu lange mit ihr draußen sein, nicht wahr, Miss ...?"
„Balfour."
Der Bursche nickte. „Miss Balfour. Der Major sagte, es wäre gut, es langsam angehen zu lassen, bis sie sich stärker fühlt."
„Ich weiß nicht, wie lange ich unterwegs sein werde, aber ich werde darauf achten, sie regelmäßig ausruhen zu lassen." Mit einem leichten Druck ihrer Fersen versetzte Lily das Tier in Bewegung.
Als die Stute durch den Gang schritt, drehte sich Lily noch einmal um. „Wenn Sie den Major sehen, richten Sie ihm bitte -meinen Dank aus."
„Mache ich, Miss."
Lily ritt durch das Stalltor, draußen strahlte die Sonne. Sie ließ den Hof von Althorpe's hinter sich und lenkte ihr Pferd durch die Straßen Londons.
Freiheit! Ihr Herz schien einen Freudentanz zu vollführen. Abgesehen davon, dass ein Bursche oder eine Anstandsdame fehlten, wirkte sie von Kopf bis Fuß wie eine junge Lady, die zu einem Ausritt in den Hyde Park unterwegs war. Aber das war nicht ihr Ziel, daher zog sie den Schleier ihres kecken Reithutes über ihr Gesicht, um ihre Identität zu verbergen. Immerhin konnte es passieren, dass sie jemandem begegnete, der sie kannte.
Schnell hatte sie auf ihrem Pferd die geschäftige Stadt hinter sich gelassen und erreichte die Vororte Londons. Die Herrenhäuser waren von Wäldern und Gärten umsäumt - wie auch das von Edward, das direkt an der Themse lag.
Unterwegs überlegte sie, was sie tun sollte, würde Edward nach Hause zurückkehren, während sie noch ihrer Mission nachging. Sie vermutete, dass ihr etwas einfallen würde. Aber in Anbetracht der Verfassung, in der sie ihn in dem Pub angetroffen hatte, würde er vermutlich den Tag in dem Gasthaus verbringen
Weitere Kostenlose Bücher