0583 - Schädeltanz am Hudson
den Betrieb anschauen.«
»Sollst du auch. Wenn es Neuigkeiten gibt, sage ich dir Bescheid.«
»Geht klar.«
Ich trat auf den Gehsteig, der nicht leer war. Die Uniformierten befragten die Bewohner, die, im Gegensatz zu sonst, alle sehr gesprächig waren, aber nichts Konkretes aussagen konnten. Sie alle hatten die Totenköpfe gesehen, ohne jedoch etwas über deren Ursprung und Herkunft berichten zu können. Da mußten sie passen.
Roxie lehnte aus dem Fenster im Parterre. Sie sah mich und winkte. Neben ihr schaute Hunter, der Schäferhund, aus dem Viereck.
Mit Lieutenant Teller hatte sie bereits gesprochen. Der wartete aber noch, bis ich meine Schritte vor dem Fenster stoppte.
»Roxie scheint Ihrer Meinung zu sein, Sinclair. Sie tippt ebenfalls auf Magie.«
»Da wird sie wohl recht haben.«
Teller grinste schief. »Sie scheinen da eine Gemeinschaft mit Roxie gegründet zu haben, wie?«
»Nicht gerade Gemeinschaft, aber wir wissen beide, wovon wir reden. Und wir versuchen, manchmal hinter die Dinge zu schauen.«
Teller knetete seine graue Gesichtshaut. »Das ist mir zu hoch. Muß man dafür studiert haben?«
»Nein, manchmal etwas gesunden Menschenverstand und ein offenes Ohr für Zwischentöne.«
Er wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Zudem lief ein noch junger Cop auf ihn zu. »Sir, Ihr Essen.«
»Ach ja, danke.« Teller grinste, als er seinen Hamburger anschaute. Er hielt ihn in einer Hand, in der anderen eine Milchtüte. »Wissen Sie, das ist seit heute morgen der erste Bissen. Ich mache Überstunden, wir alle machen Überstunden in diesem verdammten Moloch, der sich New York nennt. Das werden Sie kaum kennen.«
»Ja, bestimmt, Teller«, sagte ich in einem Tonfall, der genau das Gegenteil aussagte. Teller konnte mir nicht antworten, da er kaute und ich bereits auf den Hauseingang zuging, wo zwei schlanke Neger standen, die mit ihren Goldketten spielten.
Sie trugen weiße Hüte und ebenfalls weiße Anzüge. Oft fand man unter den geckenhaft gekleideten Typen viele Dealer. Vielleicht versuchten sie auch Thomas Wolfe nachzuahmen, den genialen Autor, der über New York ein sehr gutes Buch geschrieben hatte. Dessen Klasse und Outfit würden sie in tausend Jahren nicht erreichen.
Sie schufen mir schweigend Platz. Wieder betrat ich die nach Urin und altem Dreck stinkende Höhle. Papierfetzen verteilten sich auf dem Boden, vermischt mit plattgetretenen Ketchuptüten.
Die Tür zu Roxies Wohnung war nicht verschlossen. Als ich eintrat, sah ich, daß Roxie Besuch hatte. Curry hockte auf einem alten Stuhl direkt unter einer nackten Glühbirne, die von der Decke an einem dünnen Drahtfaden hing. Sie bekam große Kulleraugen und verdrehte sie. »Schon wieder der Bulle.«
Roxie stand bei mir. »Laß ihn mal, Mädchen, der ist in Ordnung.«
»Wenn du das sagst.«
Hunter löste sich von seinem Platz, kam auf mich zu, schnüffelte und war zufrieden, bevor er sich drehte, unter den Tisch kroch, und es sich dort bequem machte.
Curry staunte. »Sonst mag er doch keine Bullen.«
Ich grinste sie an. »Vielleicht liegt es an meinem Londoner Geruch, Curry.«
»Bullen stinken alle gleich.«
»Jetzt reicht es!« schimpfte Roxie.
»Oder willst du zurück zu deinem Verschlag da oben.«
»Nein, nein, nur nicht. Da ist noch dieser Hundesohn Bronx.«
»Genau.«
»Dein Zuhälter?« fragte ich.
»Ein Schwein ist das, Sinclair.« Sie trommelte mit den Fäusten auf die Tischplatte.
Roxie deutete auf das Fenster. »Ich würde es gern schließen«, sagte sie, »aber es klappt nicht mehr. Es hat sich verzogen. Na ja, deshalb bist du nicht zu mir gekommen.«
»Bestimmt nicht.« Ich zog mir einen Schemel heran und nahm Platz. Wir hockten jetzt alle am Tisch.
»Willst du einen Schnaps?«
Ich wehrte ab. »Nein, nicht.«
»Aber ich!« forderte Curry.
Roxie nickte. Sie holte die Flasche. Auf ein Glas verzichtete sie. Als sie den Korken entfernt hatte, schwängerte ein scharfer Geruch den Raum, in dem die Tapete sich wie alte Haut gelöst hatte.
Von draußen vernahm ich den Stimmenwirrwarr und die übrigen Geräusche wie ein fernes Summen, das mir vorkam, als würden mich gewaltige Wellenberge davontragen und hinauswehen in eine Welt, in der die Grenzen verschwammen.
Ich strich über mein Gesicht, sah, daß Curry aus der Flasche trank und hörte Roxies Frage: »Müde?«
»Etwas kaputt. Liegt wohl am Wetter und an der Zeitumstellung. Na ja, man ist keine Maschine.«
»Aber diese Nacht mußt du
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