0588 - AQUARIUS - Dämon aus der Tiefe
Aber heute war er aus verständlichen Gründen irgendwie nicht richtig bei der Sache; er verlor fünf von sechs Partien, ohne daß es ihm sonderlich viel ausgemacht hätte.
Denn er wußte, daß es wesentlich Schlimmeres gab.
Etwa, dem Fischgötzen Agbar Nabob geopfert zu werden…
Als sich die Nacht endlich wie ein dunkles Leichentuch über den Dschungel senkte, war es Viertel vor neun. Doch die Kuttenträger würden sich vermutlich nicht früher als gestern auf den Weg zum Ozean machen, also hatten sie noch mehr als genug Zeit, um hinüber zur Bucht zu gehen und sich dort irgendwo an einem geschützten Fleckchen auf die Lauer zu legen.
Dann, gegen halb zwölf, brachen sie schließlich auf…
Sowohl Zamorra als auch Nicole hatten sich umgezogen. Beide waren von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, damit sie in der Dunkelheit nicht so leicht gesehen wurden; Nicole trug ihren »Kampfanzug«, den schwarzen Lederoverall, der sich hauteng an ihren Körper schmiegte. Ausgerüstet waren sie mit ihren Dynastie-Blastern und Taschenlampen. Zudem trug Zamorra sein Amulett unter dem geschlossenen schwarzen Hemd, so daß sie hofften, für alles gewappnet zu sein, das da kommen würde.
Sie verließen Gonds Haus so leise wie möglich, liefen durch das Unterholz zum Strand hinunter und hielten sich größtenteils im Schatten des Dickichts, als sie sich der Bucht näherten, die einsam und verlassen vor ihnen lag.
Überhaupt war die Nacht ungewöhnlich ruhig. Die Tiere des Urwalds, deren Brüllen, Knurren, Pfeifen und Kreischen sonst auch in den Stunden der Finsternis nicht abbrach, ließen nichts von sich hören, und auch aus den verstreut liegenden Hütten des Dorfes war kein Laut zu vernehmen. Selbst das Murmeln der Brandung schien in dieser Nacht leiser als gewöhnlich zu sein.
Unheilvolle Stille herrschte.
Zamorra und Nicole erreichten die Bucht um kurz vor halb eins. Sie traten durch den Durchgang im Felsen, immer darauf gefaßt, daß sich ihnen plötzlich ein bewaffneter Kuttenträger in den Weg stellte. Dann sahen sie sich nach einem geeigneten Versteck um.
Auf den ersten Blick schien es keines zu geben. Doch schließlich entdeckten sie in der hintersten Ecke der Bucht, unmittelbar am Rande der steil aufragenden Felsen, eine Mulde im Sand, in der sie sich auf die Lauer legen konnten. Das war zwar nicht gerade eine ideale Deckung, aber sie waren dort ziemlich dicht am Geschehen und hatten darüber hinaus den Rücken frei.
Sie legten sich bäuchlings in die Mulde, die Nerven bis zum Zerreißen gespannt, und warteten.
Der Vollmond stand am Himmel, wurde aber immer wieder verdeckt von dahinjagenden schwarzen Wolken.
Es war eine geradezu gespenstische Atmosphäre, die sich über den verlassenen Strand in dieser stillen Nacht gelegt hatte, so fand Zamorra…
***
Es war zwanzig nach zwei, als Zamorra seine Gefährtin sanft mit dem Ellbogen anstieß. Nicole hatte für einige Minuten die Augen zugemacht, um sich ein wenig zu entspannen.
»Es geht los!« flüsterte Zamorra.
Nicole war sofort wieder hellwach, spähte über den Rand der Mulde hinweg in Richtung des Durchgangs im Felsen.
Zuerst war bloß das monotone Summen zu hören, das die ganze schreckliche Zeremonie begleitete. Es wurde allmählich lauter, als sich die Prozession der Sikhs über den Strand der Bucht mit dem Opferstein näherte und der flackernde Schein ihrer Fackeln im Durchgang auftauchte.
Ein Dutzend Sari-gewandeter Gestalten betrat die Bucht. Sie gingen nebeneinander in zwei Reihen, genau wie in der letzten Nacht, strikt geordnet, wobei jeweils die ersten und die letzten zwei Männer Pechfackeln in den Händen hielten.
Die übrigen Sikhs trugen eine andere Last: eine junge Frau, vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt, nackt wie am Tage ihrer Geburt. Sie hielten sie an den Armen und Beinen fest, wie Trauergäste, die einen Verstorbenen in einem Sarg zu seiner letzten Ruhestätte brachten. Und wie eine Leiche sah die Inderin auch aus, sie rührte sich nicht.
Doch die Frau - oder besser: das Mädchen - war nicht tot.
Noch nicht…
Zamorra und Nicole beobachteten gebannt, wie sich die Prozession dem Opferstein am Ufer näherte. Beide machten sie sich in der Mulde so klein wie möglich, um vom unsteten Schein der Fackeln nicht erfaßt zu werden.
Die Männer langten nun bei dem Opferstein an und verharrten für einen Moment davor, als ob sie dem Monolithen huldigen würden. Dann legten die Sikhs die Frau mit fast zärtlicher Behutsamkeit so auf
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