0589 - Die Kugelköpfe
hätte nur Mücken angezogen.
Sie ging in den Wohnraum. Er war etwas größer. Hinter einem Vorhang lag die Kochstelle. Als mehr konnte es nicht bezeichnet werden, denn eine Einbauküche war nicht vorhanden.
Aus dem Kühlschrank holte sie eine Flasche Wein, die sofort beschlug, als sie mit der Wärme in Berührung kam. Der Korken krümelte beim Öffnen, brach noch ab, doch beim zweiten Versuch bekam sie die Flasche auf.
Der italienische Wein stammte aus der Toscana, war leicht und das richtige Getränk für einen lauen Sommerabend. Er stieg nicht so schnell ins Blut.
Ein Glas goß sie zur Hälfte voll. Mit der Flasche in der Hand und einem Kühler betrat sie den Wohnraum, stellte die Flasche in den Zylinder, öffnete das Fenster und ließ sich auf einen Sessel fallen.
Vom Hof her hörte sie die Stimmen und das Lachen der übrigen Hausbewohner. Helen blieb in ihrem alten Lieblingssessel sitzen, der vor kurzem einen neuen Stoff bekommen hatte, legte den Kopf zurück und schaute gegen die Decke. Das Glas hielt sie in der rechten Hand. Hin und wieder nahm sie einen kleinen Schluck.
Der Wein tat gut. Er besaß einen ganz leichten Mandelgeschmack, den sie so liebte. Sie trank in kleinen Schlucken, kaute die Flüssigkeit fast und hoffte darauf, sich entspannen zu können.
Das wollte ihr nicht gelingen. Die Stunden des vergangenen Tages hatten sie doch härter getroffen, als sie zugeben wollte. Die Erinnerung war einfach nicht wegzuwischen, auch nicht bei einem kühlen Wein.
Es fiel ihr schwer, aufzustehen und die Kleidung zu wechseln. Sie entschied sich für das weiße, weit geschnittene Hauskleid mit der langen Knopfreihe. Barfuß, wieder im Sessel sitzend und die Beine ausgestreckt, schenkte sie Wein nach und versuchte abermals, die Seele baumeln zu lassen.
Es gelang ihr nicht. Die innere Spannung blieb. Sie schaute einige Male zum Fenster. Als offenes Rechteck zeichnete es sich grau in der Mauerwand ab.
Dahinter lag die düster wirkende Dämmerung. Es war noch nicht ganz dunkel, lesen konnte man allerdings nicht mehr. Die Zeit zwischen Tag und Traum, eine kurze Spanne für romantisch veranlagte Menschen, in der der Nachtgesang der Vogelscharen allmählich verstummte und sich die gefiederten Freunde zur Ruhe begaben.
Wo kam der Schatten her?
Es traf Helen hart, denn damit hätte sie auf keinen Fall gerechnet.
Und er befand sich nicht in dem Zimmer, sondern schob sich draußen an der Hauswand hoch.
Wie die Figur aus einem Marionettentheater kam ihr der Fremde vor. Helen glaubte zu träumen. Sie hockte in ihrem Sessel, ohne auch nur den kleinen Finger rühren zu können. Was sie sah, war unwahrscheinlich.
Da schaute jemand in ihr Zimmer, der einen kugelrunden Kopf besaß. Zudem glänzte der Schädel wie ein fahler Mond am Nachthimmel. Im Gegensatz dazu gaben die Augen ein kaltes Leuchten ab und vermittelten gleichzeitig so etwas wie eine Botschaft, die auch rüberkam. Helen wagte es nicht, sich zu rühren.
Bewegungslos hockte sie im Sessel, belauert, beobachtet und mußte miterleben, wie sich die Gestalt weiter in die Höhe schob. Sie bekam mit, daß der Fremde keinen Hals besaß, der Kopf sich direkt auf den Schultern befand.
So gesehen wirkte er fast lächerlich.
Nur hütete Helen sich, auch nur mit den Mundwinkeln zu zucken.
Was sich als unerklärliches Wesen an der Hauswand hochschob, war schlimm genug.
Sie wartete ab…
Sekunden verrannen, in denen nichts geschah. Per andere blieb, er füllte das Fenster fast völlig aus, dann kippte er nach vorn. Seine Beine bewegten sich ebenfalls. Das mußte er auch, sonst hätte er nicht in das Zimmer steigen können.
Er tat es mit einer Lautlosigkeit, die Helen erschreckte. Kälte rieselte über ihren Rücken, der Magen zog sich zusammen.
Der Kugelkopf betrat ihr Zimmer. Dabei schwenkte er den rechten Arm. Die Finger umklammerten einen Griff, und Helens Augen weiteten, sich vor Schreck, als sie den Gegenstand erkannte.
Es war ein Koffer!
Aber nicht irgendeiner, sondern der Koffer, der am Tage noch in der Asservatenkammer des Pfandhauses gestanden hatte und eigentlich hätte versteigert werden sollen.
Der Koffer mit seinem furchtbaren Inhalt…
Helen schauderte. Jetzt wäre Zeit zur Flucht gewesen, aber die Augen, die gefährlichen Blicke ließen sie einfach nicht los. Sie hatten die Kontrolle über Helen übernommen.
Wer war dieser Mensch, der so ganz anders aussah?
Sie dachte trotz ihrer Starre nach, erinnerte sich an Science-Fiction-Geschichten, die
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