059 - Der Preller
davon.
Der Fall der Dolly de Mulle
Die ganze Lebensweisheit des Prellers erschöpfte sich in sieben Worten: »Sei niemals dort, wo man dich vermutet!« Auf seiner Suche nach leichtverdientem Geld zog er wie ein Nomade von Zeltlager zu Zeltlager, von Pensionshäusern in Hotels und von da wieder in andere Pensionen zurück. Oftmals vergingen lange Tage, ehe er wieder ein Opfer fand. Nicht, daß Schwindler und Betrüger seltener geworden wären - nein, sondern weil man es dem Zufall anheimstellen mußte, mit ihnen in Berührung zu kommen. Wieder folgten aber auch Zeiten, wo es ratsam war, ein wenig Gras über alte Geschichten wachsen zu lassen, ehe neue Schröpfungsversuche unternommen wurden. Dies war der Fall, nachdem der Preller Mr. Kandeman eine so fühlbare Lehre erteilt hatte.
Er hatte, wie bereits im vorigen Kapitel erwähnt, Paul mitgeteilt, daß er, ehe er neue Pläne fasse, die Ankunft des Maharadscha von Tikiligi abwarten wolle, aber der Zwischenfall mit Mr. Bidder und das erhöhte Interesse, das die Polizei für den gegenwärtigen Aufenthaltsort des Strumpfhändlers verriet, wiesen gebieterisch auf die Notwendigkeit hin, so schnell wie möglich neue Jagdgründe aufzusuchen.
Anthony mietete sich ein Haus in einer Gegend Londons, wo weder Mr. Bidders noch seine eigenen Streiche eine neugierige Polizei zu genaueren Nachforschungen veranlassen würden. In diese neue Wohnung kehrte der Preller eines frühen Vormittags zurück, weckte den noch süß schlummernden Paul auf und schleppte ihn in das Speisezimmer.
»Was ist denn nun schon wieder los?« fragte der Sekretär.
»Entschuldige, daß ich dich stören muß, Paul, aber ich kann nicht warten, bis du ausgeschlafen hast.« Er unterbrach sich, steckte den Kopf zur Tür hinaus und rief: »Sandy! Koch mir eine Tasse Kakao! Ich habe immer noch den ekelhaften Geschmack der parfümierten Zigaretten im Mund.«
»Was hast du denn nun schon wieder getrieben?« fragte Paul. »Wohl gar die Jagdgründe der Millionäre beschriften?«
»Erraten!« Anthony legte Kragen und Krawatte und seinen eleganten Cut ab. »Gib mir mal meinen Pyjama herüber, Paul, und eine deiner billigen Zigaretten. Ich war bei Magson.«
»Im Nachtklub? Bist du denn Mitglied?« erkundigte sich sein Freund verwundert.
Anthony lachte.
»Man wird es, wenn man das hohe Eintrittsgeld bezahlt«, erklärte er. »Das mit der Mitgliedschaft ist ja alles Stuß. Wenn du Geld hast, kannst du überall Mitglied werden.«
Magson war der exklusivste Londoner Nachtklub. Die Mitgliederzahl war beschränkt. Wer nicht die fünfundfünfzig Pfund Eintrittshonorar und weitere fünfundfünfzig für jährliche Mitgliedsbeiträge hatte, mußte auf die Ehre verzichten, dem Klub anzugehören. Auch wenn die Mittel vorhanden waren, mußte man sich meist durch ein Mitglied vorstellen lassen, und Anthony kannte niemand von den Neureichen, die im Klub verkehrten.
»Ich habe mich sozusagen eingeschlichen«, berichtete er, »und zwar als Freund des reichen jungen Mannes, den wir im Alhambra kennenlernten, Mr. Job Tillmitt. Du weißt ja, in welcher Verfassung wir ihn trafen - verliebt und mit gebrochenem Herzen. Die Dame seiner Wahl ist Miss Dolly de Mulle, eine recht teure Herzensbrecherin. Ich ging in den Klub, um sie kennenzulernen. Sie hat allerdings nichts von einem Vampyr an sich; eher etwas von einem Blutegel. Sie saugt ihren Freunden den letzten Cent aus der Tasche, was ja angesichts ihres vornehmen Hauses in Kensington, ihres Landhauses in Somerset und ihrer süßen Villa an der Riviera kein Wunder ist. Daß sie außerdem noch meterlange Perlenschnüre, ganze Schaufeln voll Diamanten und ein Bankkonto besitzt, das einen Millionär vor Neid erblassen lassen würde, deutet ja nur noch mehr darauf hin, wie lukrativ sie ihre Schönheit zu verwerten weiß.«
»Du machst wohl Spaß?« Paul starrte den Freund an.
»Nein, im Gegenteil. Es ist mir bitterer Ernst damit. Da du von Miss Dolly de Mulle niemals gehört hast, so ...«
»Du irrst dich«, unterbrach ihn Paul. »Ich habe von ihr gehört. Allerdings ...«, er zögerte, dann fuhr er fort: ». glaube ich nicht, daß sich diese Sache für uns eignet. Die Frau ist jedenfalls nicht die Klasse wie Milwaukee Meg oder irgendeine andere gleichen Genres.«
»Nein, sie ist nicht wie Milwaukee Meg, aber viel fehlt nicht daran. Das einzige, worin sie sich von unserer alten Freundin unterscheidet, ist, daß sie sich weniger als Meg in Gefahr begibt. Du täuschest dich in ihr;
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