0590 - Ritter Tod
kleiner Gestalt, so dass seine Jacke viel zu groß für ihn wirkte. Die darunter hervorschauende Hose lag eng an und mündete mit den Beinen in Stiefelschäften. Sogar eine Locke fiel ihm in die Stirn.
Napoleons Gesichtsausdruck kam ebenfalls gut rüber, und natürlich sprach der Mann mit französischem Akzent.
Suko wartete ab, denn der kleine Mann hatte seine Stimme erhoben und stieß dabei die linke Faust in die Luft. »Ich werde die Grande Nation wieder aufrichten. Frankreich wird aus der Asche der Schande auferstehen und zu großen Taten bereit sein. Europa wird Frankreich heißen, versteht ihr…?«
»Und das beim baldigen Eintritt in den Europäischen Binnenmarkt«, sagte einer. »Ich lach mich schief.«
Suko lachte nicht. Er hielt die Gestalt genau unter Kontrolle. In deren Augen glühte der Fanatismus. Dahinter steckte mehr als nur leeres Wortgeplänkel. Suko konnte ihn mit dem Henker vergleichen, auch der war so fest von seiner Sache oder Botschaft überzeugt gewesen, und so etwas konnte leicht ins Auge gehen.
»Und wenn Frankreich zur Weltmacht geworden ist, werde ich an seiner Spitze stehen. Deshalb fordere ich euch auf, mir zu folgen. Kommt mit mir, geht meinen Weg!«
»Lauf ihn allein!« rief jemand.
»Und gib Acht, dass du dabei nicht stolperst, du Zwerg!«
Das Gelächter war groß, doch Napoleon ließ sich nicht beirren.
Suko schob sich genau in dem Augenblick vor, als der kleine Mann vor ihm mit einer sehr sicher wirkenden Bewegung den Degen aus der Scheide zog. »Was?« schrie er dabei. »Ihr wagt es, mir zu widersprechen? Ihr wagt es tatsächlich, einem mächtigen Feldherrn die Stirn zu bieten? Seid ihr denn verrückt geworden, ihr…?«
Seine Stimme überschlug sich. Er rollte mit den Augen, sogar der Dreispitz verrutschte. Der Mann hatte sich in Rage geredet und war unberechenbar geworden. Darum konnte sich Suko nicht kümmern.
Er ging direkt auf den Napoleon zu. Er hörte noch die Warnung eines Polizisten, um die er sich jedoch nicht kümmerte. Er wollte den Kleinen stoppen.
Der sah Suko, sprach den Satz nicht mehr zu Ende, denn etwas schien in seiner Kehle zu stecken. Die Hand mit dem Degen war nicht nach unten gesunken, die Spitze zeigte auf den Chinesen.
»Wer bist du?«
»Ich möchte dich mitnehmen.«
»Ich werde mit Sire angesprochen!«
»Später vielleicht, Junge. Jetzt kommst du erst einmal mit. Wir beide wollen uns in Ruhe unterhalten.« Suko streckte die Hand aus, eine Geste des Friedens, die Napoleon jedoch anders interpretierte.
Er hackte mit dem Degen zu.
Irgendwo im Hintergrund schrie eine Frau. Sie hatte keinen Grund. Suko zog die Hand blitzschnell zurück, so dass ihn der Hieb verfehlte. »Geh!« brüllte Napoleon. »Geh oder folge mir!«
»Ich werde dir deinen Hut über den Kopf ziehen, damit du im Dunkeln stehst.«
Napoleon fühlte sich beleidigt. Er war wütend und griff plötzlich an. Mit dem Degen war er ein kleiner Meister. Suko hatte Mühe, der blitzenden Klinge zu entgehen. Einmal schlitzte sie ihm sogar seinen Hemdsärmel auf, aber er konnte mit einem Tritt diesem Napoleon die Beine unter dem Körper wegtreten.
Der kleine Mann fiel auf den Rücken. Mit Schultern, Hals und Kopf stieß er gegen den Podestsockel, auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck wilder Wut. Wahrscheinlich hatte der Dreispitz den Treffer gebremst, dann bremste ihn Sukos Faust.
Der Schlag explodierte an der Kinnspitze. Es war ein knochentrockener Haken gewesen, der den Kleinen fast in die Höhe hob. Suko und die Zuschauer in der ersten Reihe hörten noch einmal sein Aufheulen, dann lag er still.
Der Inspektor bückte sich und nahm den Degen an sich. Er reichte ihn einem Bobby weiter. Er selbst zog das Leichtgewicht in die Höhe und hielt ihn am Kragen der Jacke fest.
Einige Zuschauer fingen an zu klatschen. Jemand wollte, dass Suko ihm noch den Hut über den Kopf zerrte, darauf allerdings verzichtete er. Das hier war keine Farce, obwohl es fast so gewirkt hatte.
»Schaffen Sie ihn zum Yard?« fragte einer der Bobbies.
»Ja, ich kümmere mich um ihn. Bis der aus der Bewusstlosigkeit erwacht, habe ich ihn sicher im Büro.«
»Oder in einer Zelle.«
»Vielleicht auch das.«
Suko verstaute den Mann im BMW-Fond und rollte an. Die Neugierigen verteilten sich, sie hatten ihren Spaß gehabt. Suko war wohl der einzige, der nicht an einen Spaß glaubte und davon ausging, dass mehr dahinter steckte.
Vom Piccadilly bis zum Yard war es ein Katzensprung. Suko nahm den Weg durch den St.
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