0599 - Die Kralle
Eine wirklich tolle Zeit für einen Besuch bei Fremden.
»Die Schlafräume liegen sicherlich zur anderen Seite. Zudem darfst du nicht vergessen, daß wir zu einer verflixt unchristlichen Zeit hier antanzen.«
»Möglich«, murmelte Bill, ohne direkt bei der Sache zu sein. Er kam mir ungewöhnlich vor, hockte hinter dem Lenkrad und schaute mehr durch das zerstörte Fenster als nach vorn.
»Hast du was?« fragte ich.
Der Reporter ließ den Porsche kriechen. Wir hörten fast jeden Stein unter seinem Reifen knirschen. »Ich weiß nicht, John, aber ich werde das bestimmte Gefühl nicht los, etwas entdeckt zu haben. Einen Schatten, eine weghuschende Bewegung oder so.«
»Wann?«
»Schon auf dem Gelände.«
»Mensch oder Tier?«
»Das weiß ich eben nicht.« Bill mußte noch einmal in eine Kurve fahren. Vor dem Haus gab es einfach zu viele Hindernisse, bestehend aus großen, inselartigen Blumenbeeten, die schon einen regelrechten Hochzeitsschmuck erhalten hatten.
Wir wollten parallel zur Hauswand dahin. Aus der Helligkeit an der Eingangstür wölbte sich ein breiter Aufgang hervor. Eine große Treppe mit halbbogenförmig angelegten Stufen. Nur nahe der Hauswand rahmte ein Geländer die Stufen ein.
Der helle Lichtteppich näherte sich dem Aufgang. Die Lanzen huschten über die Stufen hinweg, leuchteten sie aus – und erfaßten einen dunklen Gegenstand, der schräg lag und sich dabei auf den letzten drei Stufen verteilte.
Bill quetschte einen Fluch durch die Zähne. Mein Gesicht verlor an Farbe, und ich spürte die harten Stiche im Magen, denn wir hatten den Gegenstand gleichzeitig erkannt.
Es war ein Körper!
Plötzlich »sprang« der Porsche vor. Nach wenigen Yards schon bremste Bill das Fahrzeug wieder und schleuderte die Tür auf. Ich stürzte ebenfalls aus dem Fahrzeug.
Mit wenigen Schritten hatten wir das Ziel erreicht, das noch immer im Licht der Scheinwerfer so grausam real vor uns lag.
Es war ein Mensch, ein Mann, und man hatte ihn getötet. Wir sahen seinen Hals, wir starrten die Wunden an, die nur von einer Kralle stammen konnten…
***
Mein Körper vereiste. Die Gänsehaut fror auf halbem Wege fest. Ich atmete scharf ein und bekam mit, daß Bill neben mir das gleiche tat.
Mit einer fahrigen Bewegung wischte er über sein schweißfeuchtes Gesicht. Dann hörte ich ihn flüstern. »John, der Ferrari, das Blut auf der Fahrbahn, der Tote hier…«
»Okay, es paßt zusammen.« Obwohl es mir schwerfiel, ging ich in die Knie, um mir die Leiche noch genauer anzuschauen.
Ein unbändiger Zorn auf den Killer überkam mich. Was dieser Mensch getan hatte, war unbeschreiblich. Aber konnte ich die Kralle überhaupt als einen Menschen ansehen?
Ich richtete mich wieder auf. Mein Blick glitt über die Stufen hinweg zum Eingangsportal hoch. Bisher hatte niemand etwas von der Existenz des Toten erfahren. Wir schienen die ersten gewesen zu sein, die ihn entdeckt hatten.
Bill meinte leise: »Wir müssen ihn ins Haus bringen.«
»Sicher.« Ich strich über meine Wangen. »Kennst du den Mann?«
»Nein, das nicht.«
»Aber du könntest dir vorstellen, um wen es sich handelt? Wer ist der Tote?«
»Van Meeren!«
Ich nickte. »Das habe ich mir auch gedacht. Die Kralle hat van Meeren getötet und ihn auf die Treppe gelegt. Eine verfluchte Schweinerei, das ist Psycho-Terror.«
»Deliah weiß noch nicht Bescheid.«
»Dann werden wir es ihr sagen.« Ich wollte auf das Haus zugehen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Lichtschein flutete auf die breiten Stufen. In seinem Schein erschien die Gestalt einer jungen Frau. Es sah so aus, als wollte sie sich die Treppe hinabstürzen. Ich machte mich schon fangbereit, als die dunkelhaarige Person vor der obersten Stufe stehenblieb, die Arme hob, uns sah oder auch nicht, jedenfalls erkannten wir keine Reaktion, und dann erst mit langsamen und vorsichtig gesetzten Schritten die Stufen hinabschritt.
Bleich das Gesicht, wehend das dunkle Haar, zitternd der Mund.
Bill und ich standen verteilt auf der Treppe. Ich etwas höher als mein Freund. Sie mußte mich zuerst passieren.
Vom Treppenende her hörte ich die Stimme des Reporters. »Deliah«, sagte er leise.
Sie hörte nicht, ging weiter. Das Mädchen zitterte, es wirkte wie aufgeputscht und gleichzeitig so, als würde es dicht vor dem Zusammenbruch stehen.
Das war kein normaler Zustand mehr, sondern der kalte Psycho-Terror.
Ich faßte sie an, als sie neben mir hergehen wollte. Sie wehrte sich nicht und ließ es
Weitere Kostenlose Bücher