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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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einzig richtige ist.«

    »Ich hab so was nie gekonnt, Simon, das weißt du doch.«
    Sie hatten endlich in Downham, auf der anderen Seite des Forest of Pendle, angehalten, um Rast zu machen. Sie parkten vor der Post und gingen die schmale abfallende Straße hinunter. Im Vorbeifahren hatten sie eine an eine aus losen Steinen aufgeschichtete Mauer gelehnte alte Bank entdeckt.
    »Mach dir doch deswegen keine Gedanken. Du mußt hier nicht brillieren. Versuch einfach, dich zu erinnern. Der Rest kommt dann irgendwann von selbst.«
    »Wieso bist du eigentlich so widerlich verständnisvoll?«
    Er lächelte. »Ich dachte immer, das wäre ein Teil meines Charmes.«
    Deborah setzte sich auf die Bank. Sie nickte grüßend einer Frau zu, die in Parka und roten Gummistiefeln mit einem drahtigen schwarzen Terrier an der Leine an ihnen vorüberging. Dann stützte sie ihr Kinn auf ihre Faust. St. James setzte sich zu ihr. Er berührte mit einem Finger die steile Falte zwischen ihren Augenbrauen.
    »Ich denke nach«, sagte sie. »Ich versuche, mich zu erinnern.«
    »Das ist mir schon aufgefallen.«
    Er schlug seinen Mantelkragen hoch. »Ich frage mich nur, ob man einen Denkprozeß zwingend bei arktischen Temperaturen in Gang setzen muß.«
    »Bist du aber empfindlich! So kalt ist es gar nicht.«
    »Du solltest dir mal deine Lippen ansehen. Die werden schon langsam blau.«
    »Unsinn! Mich fröstelt ja nicht einmal.«
    »Das wundert mich nicht. Du bist längst darüber hinaus. Du befindest dich im letzten Stadium der Unterkühlung und weißt es nicht einmal. Komm, gehen wir zu dem Pub zurück. Aus dem Kamin steigt Rauch auf.«
    »Da werde ich zu stark abgelenkt.«
    »Deborah, es ist kalt. Hat ein Brandy nicht was Verlockendes?«
    »Ich muß nachdenken.«
    St. James schob seine Hände in die Manteltaschen.
    »Josef«, verkündete Deborah endlich. »Daran erinnere ich mich ganz deutlich, Simon. Er verehrte den heiligen Josef.«
    St. James hob zweifelnd eine Braue hoch und kroch tiefer in seinen Mantel. »Na ja, das ist immerhin ein Anfang.«
    Er bemühte sich um einen positiven Ton.
    »Nein, wirklich. Es ist wichtig. Es muß wichtig sein.«
    Deborah erzählte von ihrer Begegnung mit dem Pfarrer in der National Gallery. »Ich sah mir den da Vinci an - Simon, warum hast du mir den eigentlich nie gezeigt?«
    »Weil du Museen haßt. Ich hab's versucht, als du neun warst. Erinnerst du dich nicht? Du wolltest lieber auf der Serpentine rudern gehen und bist ziemlich ekelhaft geworden, als ich mit dir statt dessen ins British Museum gegangen bin.«
    »Aber das waren ja auch Mumien. Ich mußte mir Mumien ansehen, Simon. Ich hatte wochenlang Alpträume.«
    »Ich auch.«
    »Du hättest dich ja von einem kleinen Temperamentsausbruch nicht gleich unterkriegen lassen müssen.«
    »Das werde ich mir für die Zukunft merken. Aber erzähl mir weiter von Sage.«
    Sie schob ihre Hände in die Mantelärmel. »Er machte mich darauf aufmerksam, daß es auf der Da-Vinci-Zeichnung keinen Josef gab. Er sagte, fast nie werde auf Gemälden mit der Heiligen Jungfrau auch Josef dargestellt, er fände das sehr traurig. Ja, so etwas in der Art sagte er.«
    »Na ja, Josef war schließlich nur der Versorger. Der brave Ehemann, der das Geld heimbrachte.«
    »Aber das schien ihn so - so traurig zu machen. Es wirkte beinahe so, als nähme er es persönlich.«
    St. James nickte. »Das ist der Frust. Männer bilden sich gern ein, daß sie im Leben ihrer Frauen eine bedeutendere Rolle spielen. Woran erinnerst du dich noch?«
    Sie drückte ihr Kinn auf ihre Brust. »Er wollte eigentlich gar nicht dort sein.«
    »In London?«
    »Im Museum. Er wollte woandershin - war es nicht der Hyde Park? -, als es zu regnen anfing. Er liebte die Natur. Er liebte das Land. Er sagte, im Freien könnte er besser nachdenken.«
    »Worüber?«
    »Über Josef?«
    »Na, über dieses Thema kann man wahrlich endlos nachdenken.«
    »Ich hab's dir ja gleich gesagt, daß ich das nicht kann. Ich habe kein Gedächtnis für Gespräche. Frag mich, was er anhatte, wie er aussah, welche Haarfarbe er hatte, welche Form sein Mund. Aber verlang von mir nicht, dir zu erzählen, was er gesagt hat. Selbst wenn ich mich an jedes einzelne Wort erinnern könnte, wäre ich nicht fähig, nach tieferen Bedeutungen zu schürfen. Ich bin nicht fürs Tiefschürfende. Ich begegne jemandem. Ich spreche mit ihm. Ich mag ihn, oder ich mag ihn nicht. Ich denke: Mit diesem Menschen könnte ich mich anfreunden. Und damit hat sich's.

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