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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Fingern durch, anstatt einen Kamm zu benutzen.
    Weiter als bis zu den Fingern kam sie nie mit ihrer nutzlosen schwarzen Liste. Er hatte nämlich die schönsten Hände der Welt. Und wegen dieser Hände, der Vorstellung, sie auf ihrer Haut zu fühlen, endete es immer da, wo es angefangen hatte. Sprich mit mir, Colin. Mach, daß es wieder so wird, wie es einmal war.
    Aber das tat er nicht, und es war gut so. Denn im Grund wollte sie gar nicht, daß es zwischen ihnen wieder so wurde, wie es gewesen war.
    Allzu bald waren die Ermittlungen abgeschlossen. Colin Shepherd, Constable in Winslough, trug bei der Leichenschau des Coroner mit rauchiger Stimme die Ergebnisse seiner Nachforschungen vor. Sie war zur Leichenschau gegangen, weil alle anderen im Dorf auch hingegangen waren. Der große Saal im Gasthaus war brechend voll gewesen. Aber im Gegensatz zu den anderen war sie nur hingegangen, um Colin zu sehen und seine Stimme zu hören.
    »Tod durch Mißgeschick«, verkündete der Coroner. Und damit war der Fall erledigt.
    Aber das machte dem Getuschel und den versteckten Anspielungen kein Ende, änderte nichts an der Realität, daß in einem Dorf wie Winslough Vergiftung und durch Unfall Reizwörter waren, die unweigerlich zu Klatsch und Gerüchten einluden. Polly war also auf ihrem Posten im Pfarrhaus geblieben, kam jeden Morgen pünktlich um halb acht und wartete, hoffte Tag für Tag darauf, daß der Fall wiederaufgerollt und Colin zurückkehren werde.
    Müde ließ sie sich auf einen der Küchenstühle sinken und schob ihre Füße in die Arbeitsstiefel, die sie am frühen Morgen auf dem wachsenden Stapel Zeitungen abgestellt hatte. Niemand hatte bisher daran gedacht, Mr. Sages Abonnements zu kündigen. Sie selbst war zu sehr mit ihren Gedanken an Colin beschäftigt gewesen, um es zu tun. Ich tu's morgen, sagte sie sich. Das würde ein Grund sein, noch einmal hierherzukommen.
    Nachdem sie die Haustür geschlossen hatte, blieb sie einen Moment auf der Treppe stehen, um das Tuch abzunehmen, mit dem sie ihr Haar gebändigt hatte. Befreit krauste es sich wie Stahlwolle um ihr Gesicht, und der Abendwind blies es ihr über die Schultern nach hinten. Sie faltete das Tuch zu einem Dreieck, wobei sie sorgfältig darauf achtete, daß die Worte Rita hat in mir wie in einem offenen Buch gelesen nicht zu sehen waren. Sie schob sich das Dreieck über den Kopf und knotete es unter dem Kinn. Das so eingefangene Haar kitzelte sie an Wangen und Hals. Sie wußte, daß diese Tracht nicht attraktiv aussah, aber wenigstens würde ihr so das Haar auf dem Heimweg nicht dauernd um den Kopf flattern und in Mund und Augen geweht werden. Außerdem bot sich hier, auf der Treppe unter dem Außenlicht, das sie stets brennen ließ, wenn es dunkel wurde, Gelegenheit zu einem ungehinderten Blick auf das Nachbarhaus. Wenn die Lichter brannten, wenn sein Wagen in der Einfahrt stand.
    Beides war nicht der Fall. Während Polly mit knirschenden Schritten über den Kies zur Straße ging, fragte sie sich, was sie denn getan hätte, wenn Colin Shepherd an diesem Abend zu Hause gewesen wäre.
    Hätte sie bei ihm angeklopft?
    Ja? Ach, hallo. Was gibt's denn, Polly?
    Auf die Klingel gedrückt?
    Ist etwas nicht in Ordnung?
    Das Gesicht ans Fenster gepreßt?
    Brauchst du Hilfe von der Polizei?
    Wäre sie schnurstracks hineingegangen und hätte zu reden angefangen und gehofft, daß auch Colin reden würde?
    Ich versteh nicht, was du eigentlich von mir willst, Polly.
    Sie knöpfte ihren Mantel bis zum Kinn zu und stieß warmen Atem auf ihre Hände. Es wurde kälter. Es mußte mindestens fünf Grad unter null sein. Die Straßen würden eisig und glatt werden, wenn es jetzt zu regnen anfing. Wenn er nicht vorsichtig fuhr, konnte er leicht die Herrschaft über seinen Wagen verlieren. Vielleicht würde sie ihn dann finden. Sie würde die einzige sein, die sofort Hilfe leisten konnte. Sie würde seinen Kopf in ihren Schoß legen und ihre Hand auf seine Stirn, sie würde ihm das Haar aus dem Gesicht streichen und ihn warm halten. Colin.
    »Er kommt wieder, Polly«, hatte Mr. Sage drei Tage vor seinem Tod zu ihr gesagt. »Bleiben Sie standhaft und harren Sie aus. Seien Sie bereit, ihm zuzuhören. Er wird Sie in seinem Leben noch brauchen. Vielleicht schon früher, als Sie glauben.«
    Aber das war natürlich nichts als christliches Geschwafel, Ausgeburt dieser albernsten aller religiösen Vorstellungen, daß es da einen Gott gäbe, der, wenn man nur lange genug betete,

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