06 - Denn keiner ist ohne Schuld
das gilt nur für montags und mittwochs, wenn unser Roger hier ist. Heute sind nur Sheelah und ich da. Tut mir leid.«
»Ich wollte eigentlich zu Sheelah Yanapapoulis«, sagte Lynley.
»Ach ja? Sie nimmt aber keine Männer. Das heißt...«, mit einem Augenzwinkern... »nicht zum Frisieren. In anderer Hinsicht - na, ich sag's ja, das Mädchen hat immer schon Glück gehabt.«
Sie rief nach hinten: »Sheelah! Komm mal her. Du hast heute deinen Glückstag.«
»Stace, ich hab dir doch gesagt, daß ich jetzt gehe. Linus ist krank, und ich war die ganze Nacht auf den Beinen. Ich hab für heute nachmittag keine Anmeldung, da wär's total sinnlos, wenn ich bleibe.«
Geräusche aus dem Hinterzimmer begleiteten die Stimme, die quengelig und müde klang. Eine Handtasche schnappte mit einem metallischen Klicken zu; Stoff raschelte; Gummischuhe klatschten auf den Boden.
»Er sieht gut aus, Sheel«, sagte Stace mit einem neuerlichen Augenzwinkern. »Den würdest du bestimmt nicht verpassen wollen. Glaub's mir.«
»Ach, dann ist es wohl mein Harold, der sich da draußen mit dir amüsiert? Wenn's so ist...«
Sie kam aus dem Hinterzimmer, ganz damit beschäftigt, sich einen schwarzen Schal über das Haar zu legen, das sehr kurz war, raffiniert geschnitten, weißblond, wie es nur aus der Tube kommen konnte, wenn man nicht gerade ein Albino war. Als sie Lynley sah, blieb sie stehen, musterte ihn mit ihren blauen Augen von oben bis unten, Mantel, Schirm, Haarschnitt. Augenblicklich bekam ihr Gesicht einen mißtrauischen Zug; ihre vogelähnlichen Züge schienen sich zu verschließen. Doch das dauerte nur einen Moment, dann hob sie mit einer scharfen Bewegung den Kopf und sagte: »Ich bin Sheelah Yanapapoulis. Darf ich fragen, wer meine Bekanntschaft machen möchte?«
Lynley zog seinen Ausweis heraus. »New Scotland Yard.«
Sie war dabei gewesen, ihren grünen Trenchcoat zuzuknöpfen; als Lynley sich vorstellte, wurden ihre Bewegungen zwar langsamer, aber sie hielt nicht inne. Sie sagte: »Ach, Polizei?«
»Ja.«
»Ihresgleichen hab ich nichts zu sagen.«
Sie schob ihre Handtasche über ihren Arm.
»Ich werde Sie nicht lang aufhalten«, sagte Lynley. »Aber es ist leider wichtig.«
Die andere Friseuse hatte sich von ihrer Kundin abgewandt. Sie sagte einigermaßen beunruhigt: »Sheel, soll ich Harold anrufen?«
Sheelah ignorierte sie. »Wichtig wozu?« fragte sie. »Hat einer meiner Jungs heute morgen Mist gebaut? Ich hab sie heut zu Hause gelassen, wenn das ein Verbrechen sein soll. Sie sind alle erkältet. Haben sie was angestellt?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Sie machen ja immer Dummheiten mit dem Telefon. Letzten Monat hat Gino 999 gewählt und Feuer geschrien. Bekam eine saubere Tracht Prügel dafür, das können Sie mir glauben. Aber der ist stur, genau wie sein Vater. Ich würd's ihm zutrauen, daß er's wieder tut, nur zum Spaß.«
»Ich bin nicht wegen Ihrer Kinder hier, Mrs. Yanapapoulis. Allerdings hat Philip mir gesagt, wo ich Sie finden kann.«
Sie knöpfte ihre Gummistiefel an den Knöcheln zu. Dann richtete sie sich stöhnend auf und drückte sich beide Fäuste ins Kreuz. Als sie so stand, sah Lynley, was ihm vorher entgangen war: Sie war schwanger.
»Können wir uns irgendwo hinsetzen und miteinander reden?«
»Worüber?«
»Über einen Mann namens Robin Sage.«
Sie drückte beide Hände auf ihren Bauch.
»Sie kennen ihn also«, sagte er.
»Und wenn schon?«
»Sheel, ich rufe Harold an«, sagte Stace. »Der will bestimmt nicht, daß du mit den Bullen redest.«
Lynley sagte zu Sheelah: »Wenn Sie sowieso nach Hause wollen, dann erlauben Sie mir, Sie in meinem Wagen mitzunehmen. Wir können uns unterwegs unterhalten.«
»Moment mal. Ich bin eine gute Mutter, Mister. Da gibt's niemanden, der Ihnen was anderes sagen wird. Sie brauchen nur zu fragen. Fragen Sie doch mal Stace hier.«
»Sie ist echt die reinste Heilige«, versicherte Stace. »Wie oft hast du auf neue Schuhe verzichtet, damit deine Kinder die Turnschuhe haben konnten, die sie wollten? Wie oft, hm, Sheel? Und wann hast du das letzte Mal auswärts gegessen? Und wer bügelt bei euch, wenn nicht du? Und wie viele neue Kleider hast du dir letztes Jahr gekauft?«
Stace holte Luft. Lynley packte die Gelegenheit beim Schopf.
»Wir ermitteln in einem Mordfall«, sagte er.
Die einzige Kundin des Salons senkte ihre Zeitschrift. Stace drückte ihre Chemikalienflasche an die Brust. Sheelah starrte Lynley an und schien seine Worte
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