06 - Denn keiner ist ohne Schuld
Außer dem Bœuf, meine ich. Der Lachs ist gut. Und die Ente auch. Und das Kalbfleisch...«
Die Außentür des Pubs wurde geöffnet, und ein eisiger Luftzug fegte herein und umspielte wie flatternde Seide ihre Beine »... ist mit Tomaten und Champignons gemacht. Außerdem haben wir heute abend Seezunge mit Kapern und...«
Josie geriet ins Stocken, als hinter ihr das Stimmengewirr der Gäste auffallend plötzlich verstummte.
Ein Mann und eine Frau standen an der Tür unter der Deckenlampe, die deutlich den Kontrast zwischen ihnen zeigte. Zunächst das Haar: seins ingwerfarben; das ihre dunkel, mit Grau gesprenkelt, dick, glatt, auf Schulterlänge geschnitten. Dann das Gesicht: seins jugendlich und gut geschnitten, jedoch fiel sofort das harte Kinn auf; sie stark und kraftvoll, ungeschminkt, das Gesicht einer Frau mittleren Alters. Und die Kleidung: er in Tweedjacke mit langer Hose; sie in einer abgetragenen dicken Seemannsjacke und ausgebleichten Blue Jeans mit einem Flicken auf einem Knie.
Einen Moment lang blieben sie Seite an Seite am Eingang stehen. Die Hand des Mannes lag auf dem Arm der Frau. Er trug eine Brille, in deren Gläsern sich funkelnd das Licht brach und das Spiel seiner Augen verdeckte. Sie jedoch sah sich langsam um, nahm bewußt mit jedem, der dies wollte, Blickkontakt auf.
»... mit Kapern und - und...«
Josie schien ihren Text vergessen zu haben. Sie schob ihren Bleistift in ihr Haar und kratzte sich damit am Kopf.
Mr. Wragg, der hinter dem Tresen gerade ein Guinness zapfte, sagte: »Guten Abend, Constable. Guten Abend, Mrs. Spence. Kalter Abend, was? Ich glaub, da kommt noch einiges auf uns zu, wenn Sie mich fragen. Na, wie steht's, Frank Fowler? Noch ein Dunkles?«
Endlich riß wenigstens einer der Bauern seinen Blick von der Tür los. Andere folgten seinem Beispiel. »Da sag ich nicht nein, Ben«, antwortete Frank Fowler und schob sein Glas über den Tresen.
Ben zapfte. Irgend jemand sagte: »He, Billy, hast du zufällig Zigaretten bei dir?«
Ein Stuhl wurde krachend über den Fußboden geschoben. Aus dem Büro war das Läuten des Telefons zu hören. Langsam kehrte im Pub wieder Normalität ein.
Der Constable ging zum Tresen und sagte: »Ein Black Bush und eine Limonade, Ben«, während Mrs. Spence auf einen Tisch zusteuerte, der etwas abseits von den anderen stand. Sie bewegte sich ohne Eile, eine ziemlich große Frau mit hocherhobenem Kopf und geraden Schultern. Doch anstatt sich auf der Bank an der Wand niederzulassen, nahm sie auf einem Stuhl Platz, der mit dem Rücken zum Gastraum stand. Sie zog ihre Jacke aus.
Darunter trug sie einen hellen Rolli.
»Na, wie geht's, Constable?« erkundigte sich Ben Wragg. »Ist Ihr Vater nun schon im Altenheim?«
Der Constable zählte ein paar Münzen ab und legte sie auf den Tresen. »Ist letzte Woche eingezogen«, antwortete er.
»Tja, war schon ein bemerkenswerter Mann, Ihr Vater, Colin. Erstklassiger Polizist.«
Der Constable schob das Geld zu Wragg hinüber. »Ja«, sagte er. »Kann man wohl sagen. Wir haben ja auch alle lang genug Zeit gehabt, das zu merken.«
Damit nahm er die beiden Gläser und ging zu seiner Begleiterin hinüber.
Er setzte sich auf die Bank, den Blick in die Gaststube. Langsam sah er von einem Tisch zum anderen. Und einer nach dem anderen sahen die Leute weg. Die Gespräche im Raum waren so gedämpft, daß man aus der Küche deutlich das Klappern der Töpfe hören konnte.
Nach einem Moment sagte einer der Bauern: »Tja, ich denk, das war's für heute, Ben«, und ein anderer sagte: »Ich muß noch rüber zu meiner Großmutter.«
Ein dritter warf wortlos eine Fünf-Pfund-Note auf den Tresen und wartete auf das Wechselgeld. Innerhalb von Minuten nach der Ankunft des Constables und Mrs. Spences hatte sich das Pub praktisch geleert; zurück blieben nur ein Mann im Tweedjacket, der träge an die Wand gelehnt stand und den Gin in seinem Glas schwenkte, und die Gruppe Teenager, die jetzt zu einem Spielautomaten am anderen Ende des Raums trottete, um dort ihr Glück versuchen.
Josie hatte die ganze Zeit mit halb offenem Mund und großen Augen am Tisch gestanden. Erst als Ben Wragg blaffte: »Los, Josephine, mach voran!«, wachte sie auf und erinnerte sich, daß sie die Gäste ja zum Abendessen beraten sollte. Aber selbst dann brachte sie nicht mehr zustande als ein gestammeltes: »Äh - was möchten Sie essen?«
Noch ehe sie eine Wahl treffen konnten, fügte sie hinzu: »Der Speisesaal ist gleich nebenan, wenn Sie
Weitere Kostenlose Bücher