06 - Ein echter Snob
Arbeit hineinstecken, es liegt an der
Hauptstraße nach Norden. Aber wir werden es schon schaffen, und wenn wir es
günstig kaufen, bleibt uns genug Geld übrig, um Zimmerleute und Maurer zu
bezahlen. Sobald Seine Gnaden morgen aus dem Haus ist— ich meine heute«, fügte
er mit einem Blick auf die Uhr hinzu, »nehme ich die Postkutsche nach Highgate
und schaue, ob ich das Anwesen für uns erwerben kann.«
Sie blieben noch eine halbe Stunde
sitzen und überlegten, wie sie das Gasthaus nennen und wie es ihrer Meinung
nach aussehen sollte, und sie träumten von den feinen Gästen, die sie haben
würden, bis Rainbird sie an die späte Stunde erinnerte und sagte, sie kämen am
Morgen nicht aus den Federn, wenn sie jetzt nicht alle auf der Stelle zu Bett
gingen.
Aber für manch einen von ihnen wurde
es eine unruhige Nacht. Lizzie drehte und wälzte sich im Bett, während sie sich
vorstellte, dass sie Joseph heiraten würde. Sie mochte Joseph natürlich, aber
ihn heiraten! Joseph hatte ihr, als sie ihre Stellung angetreten hatte und noch
kaum lesen und schreiben konnte, ungeheuer imponiert. Inzwischen durchschaute
sie aber sein eitles Gehabe, sie war nicht mehr das schüchterne kleine Mädchen,
das niemals aufmuckte. Im Gegenteil, sie meinte, durchaus eines Mannes würdig
zu sein, der etwas liebevoller und etwas weniger eitel als Joseph war.
Lizzie dachte an den Kammerdiener
des Comte St. Bertin, Mr. Paul Gendreau, den sie vor einiger Zeit kennengelernt
hatte, als sie aus der Kirche kam. Er hatte sie wie eine Dame behandelt; er war
mitfühlend gewesen. Sie konnte ihn nicht vergessen, so sehr sie sich auch
bemühte. Aber Mr. Gendreau war Franzose, und französische Diener waren noch klassenbewusster
als englische. Es hatte ihn sicher amüsiert, zu einem Küchenmädchen galant zu
sein. Wahrscheinlich dachte er nie an sie. Eine Träne rollte Lizzies Wangen
hinunter und fiel auf die Decke, unter der sie lag.
Alice war auch unbehaglich zumute,
wenn sie an die Zukunft dachte. Sie sah immer wieder Fergus' kräftiges,
sonnengebräuntes Gesicht vor sich. Aber sie würde bald nach Highgate hinaus
müssen, der Herzog würde für dieses Haus andere Diener einstellen, und sie
würde Fergus nie wiedersehen. Sie hätte sich gern dem Stubenmädchen Jenny
anvertraut, mit dem sie ein Bett teilte, aber sie wollte die Begeisterung ihrer
Freundin über das Gasthaus nicht dämpfen.
Alice wäre überrascht gewesen, wenn
sie gewußt hätte, dass es auch Jenny nicht wohl bei dem Gedanken daran war.
Irgendwie hatte diese Miss Sutherland, die denselben Vornamen hatte, sie aus
dem Gleichgewicht gebracht. Es war eine ungerechte Welt, in der die eine Jenny
hübsche Kleider tragen, auf Bälle gehen und mit reichen Gentlemen tanzen
durfte, während sie, die Dienstmagd Jenny, zu einem Leben der Knechtschaft
verdammt war. Denn, dachte Jenny düster, sie würde kaum die Möglichkeit haben,
einen interessanten Mann kennenzulernen, während sie die Fußböden schrubbte und
in der Schankstube auf Gäste wartete. Wie Lizzie hatte sie das Gefühl, dass sie
etwas Besseres im Leben verdiente — etwas Besseres als die Sorte Mann, die
einer Dienstmagd in einem Gasthaus einen Heiratsantrag macht, auch wenn dieser
Dienstmagd ein Teil des Gasthauses gehörte. Wahrscheinlich würde ihr einer
dieser grobschlächtigen Lümmel einen Heiratsantrag machen, die immer auf der
Suche nach einem Arbeitspferd mit Geld sind, nach einer Frau zum Scheuern und
Nähen und Spülen.
Ein Zimmer weiter lag auch Joseph
wach und krümmte seine geschundenen Füße unter der Bettdecke. Die Diener hatten
nur das eine Ziel, nämlich die Freiheit, vor Augen gehabt, und jetzt standen
sie auf der Schwelle dazu. Joseph hatte immer den rosigen Traum geträumt, dass
er am Eingang zum Gasthaus stand, mit einem modischen leinwandgefütterten
Überrock bekleidet, und die aristokratischen Gäste empfing. Er würde sich tief
verbeugen und dabei hören, wie Mylady ihrem Lord zuflüsterte: »Was für ein
eleganter junger Mann.«
Aber jetzt ging Rainbird tatsächlich
daran, das Gasthaus zu erwerben — ein Gasthaus, in das man sehr viel Arbeit
stecken musste, um es in Ordnung zu bringen. Es war klar, dass Rainbird
erwartete, dass sie alle dabei halfen. Joseph hielt seine Hände hoch und
erfreute sich im flackernden Schein des Talglichts an ihrer makellosen
Gepflegtheit. Man würde ihm nicht erlauben, weiße Handschuhe oder eine
Samtlivree zu tragen. Er würde nicht mehr rasch in den >Running
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