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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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existierte nicht mehr. Jenny hätte schreien können oder in Ohnmacht
fallen, sie hätten es nicht gemerkt.
    Jenny schloss leise die Tür und
lehnte sich mit dem Rücken dagegen, ganz weiß im Gesicht.
    Dann begann
sie, langsam die Stufen wieder hinaufzugehen.

Sechstes Kapitel

    Es war der schlimmste Tag in Jennys
jungem Leben. Sie war zutiefst beschämt und fühlte sich noch gedemütigter und
unglücklicher, als Mrs. Freemantle sie beschimpfte, weil sie ihre Tante in der
letzten Nacht so unnötig hatte leiden lassen.
    Jenny hatte sehr
an ihrer früheren Gouvernante, Miss Phipps, gehangen, die jetzt in Barminster
im Ruhestand lebte. Sie hatte nicht gemerkt, dass deren sklavische Bewunderung
ihrer Schönheit eine gefährliche Sache war. Alles, was Jenny tat oder dachte,
war in Miss Phipps' Augen richtig gewesen. Die Gouvernante hatte darauf
bestanden, dass ein Mädchen, das so hübsch wie Jenny war, keine Zeit darauf
verschwendete, sich den Kopf mit unnötiger Erziehung und Bildung verwirren zu
lassen. Miss Phipps zufolge bedeutete Schönheit Macht, und schöne Frauen hatten
das Recht, diese Macht so vorteilhaft wie möglich einzusetzen, weil Männer
selbstsüchtige Bestien waren, denen es nicht schadete, wenn man mit ihnen
kokettierte und ihnen das Herz brach. Wenn Jenny solchen Unsinn auch nicht glaubte,
so bestärkten Miss Phipps' Worte sie doch in ihrer Eitelkeit.
    Jetzt schwor
sie sich erneut, ihre Schönheit nicht mehr als besonders wichtig anzusehen.
Sie sehnte sich danach, sich selbst und der Welt zu beweisen, dass sie nicht
selbstsüchtig oder leichtfertig war. Palmer fiel ihr wieder ein. Wenn sie nur
etwas tun könnte, um diesen Dienern zu helfen, dann würde sie wieder
selbstsicherer und fröhlicher werden.
    Zunächst mußte sie aber noch die
Spazierfahrt mit Mary Maddox und Mr. Toby Parry durchstehen.
    Mary fragte
sich offensichtlich, was ihre neue Freundin bekümmerte. Sie wies Jenny darauf
hin, dass alle Herren ihre Schönheit staunend bewunderten, aber Jenny schnaubte
nur verächtlich und wechselte das Thema. Da ihre Blicke durch ihr Unglück
geschärft waren, merkte Jenny, dass Mr. Toby Parry bis über beide Ohren in Mary
verliebt war und dass Mary überhaupt nichts davon ahnte. Es wurde ihr auch mit
einem gewissen Erstaunen klar, dass sich Mary, obwohl sie so überaus beliebt
war, ihres Zaubers gar nicht bewußt war. Vielleicht ist es wichtiger, dachte
Jenny, ein Äußeres wie Mary zu haben, ein Äußeres, das durch die offene Freundlichkeit
ihres Wesens anziehend und reizend wirkte.
    »Da drüben ist dein schrecklicher
Herzog von Pelham«, rief Mary und riss Jenny aus ihren Gedanken. »Sollen wir
ihn schneiden?«
    »Nein«, meinte Jenny. »Aber wir
werden nur höflich mit dem Kopf nicken.«
    »Wer ist dieses
bemerkenswert schöne Geschöpf?« fragte Lady Bellisle ihren Begleiter, als
Jenny, Mary und Toby vorbeifuhren.
    »Eine Miss Jenny Sutherland, die
erst vor kurzem in die Hauptstadt gekommen ist.«
    Der Herzog
fragte sich, was mit der kleinen Miss Sutherland wohl los sei. Ihre Augen waren
rotgerändert, woraus er schloss, dass sie vor kurzem geweint hatte, und sie sah
bedrückt und unglücklich aus. Er hätte am liebsten seine Kutsche gewendet, um ihr nachzufahren und sie zu fragen,
was ihr fehle. Er verspürte heftige Gewissensbisse. Hätte er sie bloß auf Mrs.
Bessamys Gesellschaft nicht so schlecht gemacht! Aber dann beschloss er, dass
er Wichtigeres zu tun hatte.
    Er hatte am Vormittag seine Anwälte
aufgesucht, und sie hatten ihm versichert, dass es nicht notwendig sei,
Nachforschungen über Lady Bellisles Vergangenheit anzustellen, da sie zufällig
auch ihre Anwälte seien. Ihr Gatte, Lord Harry Bellisle, sei vor drei Jahren
gestorben und habe ihr ein Vermögen hinterlassen. Sie sei eine vollendete Dame
und sei es auch in der Vergangenheit immer gewesen. Mit ihrem Namen sei nicht
der geringste Skandal verbunden.
    Deshalb beschloss der Herzog, die
lästige Angelegenheit, um ihre Hand anzuhalten, so schnell wie möglich hinter
sich zu bringen. Die Saison langweilte ihn bereits. Das merkwürdige Gefühl, in
einer Familie aufgehoben zu sein, das er in den ersten Tagen in seinem
Stadthaus gehabt hatte, erweckte in ihm die Sehnsucht, sich aufs Land
zurückzuziehen und eine solche häusliche Atmosphäre selbst zu schaffen. Dass
Lady Bellisle, die immer in der Hauptstadt gelebt hatte, unter Umständen nicht
auf dem Land vergraben sein wollte, kam ihm dabei nicht in den Sinn. Eine Dame,
die einen

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