06 - Geheimagent Lennet unter Verdacht
halblaut.
In diesem Augenblick krachte ein mit aller Gewalt geworfener Stein in eins der erleuchteten Fenster im Erdgeschoß. Sogleich erlosch das Licht im Haus, aber im Garten leuchteten Scheinwerfer auf.
»Gefahr! Gefahr!« Das war die Stimme des Rotgesichts. »Ich bin es, Paul! Im Garten ist ein Kerl. Achtung! Er hat zwei Pistolen!«
Lennet richtete sich auf. Nun wollte er versuchen, auf dem gleichen Weg, auf dem er gekommen war, zurückzukehren.
Aber schon gellte es vorn Haus her: »Hände hoch! Rühren Sie sich nicht!«
Lennet hob die Arme. Zwei Männer kamen angerannt. Sie waren mit Maschinenpistolen bewaffnet. Sie ließen den Geheimagenten vor sich hergehen und stießen ihn ins Haus. Die Scheinwerfer erloschen schlagartig.
Während einer der Männer seine Waffe weiterhin auf Lennet gerichtet hielt, durchsuchte ihn der andere und nahm ihm alles ab, was er besaß.
Lennet sah sich um. Er befand sich in der Diele eines Vorstadthauses, wie es sie in Paris zu Tausenden gibt und wo sich keines von einem anderen unterscheidet.
Der Mann, der ihn untersucht hatte, ging durch eine Seitentür hinaus. Alle Gegenstände, um die er Lennet erleichtert hatte, nahm er mit. Er blieb etwa fünf Minuten weg, dann öffnete sich die Tür wieder. Der gleiche Mann erschien und sagte zum Bewacher:
»Geh hinaus und stelle fest, was draußen los ist.«
Und zu Lennet gewandt: »Komm mit!«
Lennet betrat einen ziemlich großen Raum, der wie ein Büro aus dem vergangenen Jahrhundert möbliert war: dunkles Holz, Bücher mit Goldschnitt und doppelte Vorhänge aus braunem Samt.
Es befanden sich bereits zwei Männer in diesem Zimmer.
Einer von ihnen stand in der Nähe des Schreibtischs, und Lennet erkannte in ihm den Fahrer des Wagens. Hinter ihm saß ein riesiger Mann, der eine Brille mit dicken, viereckigen Gläsern trug. Er hatte den Kopf eines Frosches und die Ausmaße eines Ochsen. Es war Hauptmann Sourcier vom Militärischen Sicherheitsdienst.
In der Falle
Lennet versuchte seine Verblüffung und seine Erleichterung zu verbergen und schlug die Hacken zusammen: »Stehe zu Diensten, Herr Hauptmann.«
Der dicke Mann wirkte überrascht. »Sie kennen mich?«
»Ich bin Leutnant Lennet vom Französischen Nachrichtendienst. Ich bin Ihnen heute morgen auf der Treppe begegnet und stehe Ihnen zur Verfügung.«
»Ich erinnere mich nicht", erwiderte Sourcier. »Nun, Herr Leutnant", sagte er, »vielleicht hätten Sie die Güte, mir zu erklären, was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft?«
Lennet zögerte. Durfte er einem Offizier des Militärischen Sicherheitsdienstes gegenüber von den Schlußfolgerungen sprechen, von denen er seinen eigenen Vorgesetzten noch nicht berichtet hatte? Ich werde die Wahrheit sagen, dachte er, aber ich werde sowenig wie nur möglich davon sagen.
»Herr Hauptmann", antwortete er, »ich bin der vom Französischen Sicherheitsdienst beauftragte Kurier, der streng geheime Schriftstücke des Generals de la Tour du Becq an bestimmte Empfänger zu überbringen hat. Mein Vorgesetzter hat von dem Verdacht gesprochen, den Sie gegen mich haben.
Ich wollte die Sache auf eigene Faust aufklären und habe dabei einiges entdeckt. Darf ich vor diesem Herrn offen reden?« fragte er und deutete auf den Fahrer des Peugeot.
»Aber sicher", antwortete Sourcier.
Lennet erzählte dem Hauptmann in knappen Worten seine Geschichte.
»Habe ich Sie recht verstanden, daß Sie diese Ermittlungen ganz allein durchgeführt haben?« fragte Sourcier gewichtig.
»Ja, Herr Hauptmann.«
»Aber Ihre Vorgesetzten waren doch wohl unterrichtet?«
»Nein, Herr Hauptmann. Ich habe Urlaub.«
»Hm, hm!« machte Sourcier. »Ich bin nicht so sicher, daß Ihre Vorgesetzten von Ihrem Vorgehen begeistert sein werden, Herr Leutnant. Es ist nicht zu leugnen, daß Sie gegen die Vorschriften verstoßen haben.«
»Ja, Herr Hauptmann.«
»Schon gut, schon gut.«
Der Hauptmann schien zu zaudern. Nach einer Weile fuhr er fort:
»Auch ich war einmal jung, Herr Leutnant, und ich verstehe sehr gut, was Sie haben empfinden müssen. Sie sind jedoch ordentlich unvorsichtig gewesen. Arthur sollte nichts von dieser Adresse wissen, und Sie irren, wenn Sie glauben, daß er Sie absichtlich hierhergeführt hat.
Sourcier klingelte, und der Bewacher trat ein.
»Ist alles ruhig?« fragte der Hauptmann.
»Ja, Chef. Ich habe den Burschen, der Alarm geschlagen hat, eingesperrt.«
»Lassen Sie ihn wieder frei und raten Sie ihm, er soll vergessen, daß er
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