06 - Geheimagent Lennet unter Verdacht
Bernards Körper hinwegsprang. Auch Lennet sprang, aber sein Fuß verfing sich, er wußte nicht, wie es geschah, im Regenmantel Bernards. Er fiel vornüber auf die Straße.
Schon warf sich der Fahrer mit seinem ganzen Gewicht auf ihn. Lennet, der mit dem Gesicht am Boden lag, hatte das Gefühl, als hörte er alle seine Knochen krachen. Er gab sich alle Mühe, seinen Reiter abzuwerfen, aber vergeblich. Die beiden Gefährten des Fahrers, die nun wieder zu sich gekommen waren, stürzten sich nun auch auf ihn. Dann schlang sich ein dünner Strick um die Hand- und Fußgelenke des Geheimagenten. Einer der beiden Kerle nahm ihn in die Arme, als sei er ein kleines Kind. Er warf ihn hinten in den Lastwagen und nahm neben ihm Platz. Der andere setzte sich ins Führerhaus neben den Fahrer.
Nun begann der Wagen loszufahren, als sei nichts gewesen.
Bernard und Lennets ehemaliger Bewacher blieben auf der Straße liegen, ohne daß Lennet nun wußte, ob die armen Kerle tot waren oder nur das Bewußtsein verloren hatten. Die Fahrt dauerte etwa eine Stunde.
Durch die Scheibe, die den Laderaum vom Führerhaus trennte, konnte Lennet die Nacken des Fahrers und seines Beifahrers sehen. Er konnte auch die Dächer einiger Häuser und den dunklen Himmel erkennen.
Bald verschwanden auch die Häuser. Sie wurden von Laternenpfählen und Bäumen abgelöst in Straßen, wo eine der anderen glich.
Niemand sagte ein Wort. Lennet hörte nicht auf, sich selber zu verfluchen. Aber bei längerem Nachdenken sah er ein, daß die Verdächtigungen seines Vorgesetzten ihn gezwungen hatten, diesen Weg einzuschlagen. Und was nun seine endgültige Gefangennahme durch dieses Kommandounternehmen an betraf, so trug er dafür nicht die geringste Verantwortung. Wer weiß? Wäre er nicht über Bernard gestolpert, hätte vielleicht alles auch noch gut ausgehen können.
Der Lastwagen hielt an. Durch die Scheibe sah Lennet mehrere rote Punkte am Himmel vorbeiziehen. Gewaltiges Dröhnen ließ die Luft erzittern. Sie waren in die Nähe eines Flugplatzes gekommen.
Der Mann, der Lennet bewachte, stand auf und schaltete eine Taschenlampe ein. In einer Ecke entdeckte der Geheimagent die Schachtel, die seine persönlichen Habseligkeiten und seine Waffen enthielt. Die Räuber hatten sich also die Mühe gemacht, sie an sich zu nehmen.
Warum haben sie nicht auch Bernard und meinen Bewacher mitgeschleppt, fragte er sich.
Der Mann, der ihn nun bewachte, zog einen Beutel aus seiner Tasche. Er öffnete ihn und entnahm ihm eine Injektionsspritze und eine kleine Flasche. Er tauchte die Nadel der Spritze in die Flasche und füllte sie.
»He, was machen Sie da?« fragte Lennet.
Inzwischen hatte er etwas von der ihm eigenen Munterkeit wiedergefunden und fügte noch hinzu:
»Ich habe bereits alle Impfungen, die man braucht, vielen Dank.«
Der Mann antwortete ihm nicht.
Stattdessen setzte er sich ganz einfach auf Lennets Bauch.
»Autsch!« stieß der Geheimagent hervor, »ich bin doch kein Lehnstuhl!«
Ohne ein Wort stieß der Mann die Nadel am unteren Rand des Halses hinein.
Dann drückte er den Kolben in dem Glasröhrchen nieder.
Eine Flüssigkeit, von der Lennet nicht ahnte, was sie enthielt, drang in seinen Körper ein.
Drei Sekunden später hatte der Geheimagent das Bewußtsein verloren.
Das Verhör
Langsam kam Lennet wieder zu sich, aber sogleich meldete sich auch der Instinkt des Geheimagenten: Nur nicht die Augen öffnen. Spielen wir den toten Mann.
Er versuchte, ein Geräusch oder einen Geruch festzustellen, die ihm vielleicht verraten konnten, wo er sich befand. Leider aber schien es in der Welt, in der er sich aufhielt, keinerlei Geräusche oder Gerüche zu geben.
So beschränkte sich Lennet darauf, nur die Augenlider ein wenig zu öffnen.
Er lag auf einem Feldbett in einer fensterlosen Zelle, die nur noch einen Tisch und zwei Stühle aus Metall aufwies. Auf einem dieser Stühle saß ein Mann in einer ausländischen Uniform. Er hatte die Füße auf den Tisch gelegt und las etwas gelangweilt eine Zeitung.
An einem Kleiderhaken hingen Lennets Sachen. Er selber trug einen weiß und sandfarben gestreiften Schlafanzug.
Eine Weile bemühte er sich, seine Erinnerungen zusammenzukratzen. Er hatte sich wie ein Idiot benommen, stimmt, und dann war er entführt worden. Warum? Es blieb ein Rätsel. Wo befand er sich? Er wußte es nicht. Wie lange schon?
Er hatte nicht die geringste Ahnung.
Er kniff die Augen zusammen, um über die Schulter seines neuen Wächters
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