06 - Weihnacht
stimmte Watter bei.
Der Wirt versetzte dem letzteren einen gelinden Rippenstoß und sagte mit mir willkommener Anzüglichkeit:
„Was denkt Ihr nun von Eurer großen Weisheit, Mr. Watter? Wer gehört nun zu den ‚reinen Garnichtsen‘, mit denen Ihr nur so herumgeworfen habt? Wer ist so albern gewesen, sich von dem Prayer-man so betrunken machen zu lassen, daß er im Schlafe des Rausches das Geräusch nicht gehört hat, welches hier doch ganz unvermeidlich gewesen ist? Ihr wollt wegen Mr. Shatterhand mein Haus verlassen, dessen Ruf nur durch Eure Dummheit blamiert werden konnte. Ihr mögt immer gehen, denn solche Gäste mag ich gar nicht haben. Habt Ihr mich verstanden!“
Der Angerüffelte sagte kein Wort. Winnetou aber fuhr in seiner Erklärung fort:
„Der Dieb hat einem Verbündeten, welcher unten stand, das Gold nach und nach zugereicht, indem er es wahrscheinlich in irgendeinem Gefäße an einer Schnur hinunterließ.“
„Eines Gefäßes bedurfte es nicht“, erklärte Watter. „Es waren lauter fest zusammengebundene Pakete. Aber woher kann man wissen, daß es durch das Fenster gegeben wurde?“
Winnetou deutete, ohne ein Wort zu sagen, auf einige am Boden liegende Nuggets und auf verstreuten Goldstaub hin, welcher nach dem Fenster führte.
„Ah, da ist ein Paket auf gewesen! Ja, das stimmt, das stimmt! Also drei Personen haben mich bestohlen! Dieser Prayer-man, den der Teufel fressen möge, und noch zwei andere, die ich nicht kenne! Ich werde seine Fährte suchen, um ihr zu folgen, und wenn ich ihn erwische, so – – –“
Mehr hörte ich nicht, denn Winnetou glaubte, genug getan zu haben, und ging; ich folgte ihm. Als er unten nach dem Gastzimmer biegen wollte, hielt ich ihn durch eine Handbewegung davon ab und führte ihn wieder nach der Stube des Prayer-man. Er ging schweigend mit. Oben angekommen, erzählte ich ihm nun, da wir allein waren, das Gespräch, welches ich belauscht hatte. Er hörte mir sehr aufmerksam zu, ließ, als ich zu Ende war, jenes bestimmende Lächeln sehen, welches mich stets so sehr befriedigte, und sagte:
„Und nun will mein weißer Bruder wohl diesen Koffer noch einmal untersuchen, ob er vielleicht noch etwas enthält, was wir noch nicht entdeckt haben?“
„Ja, deshalb ging ich noch einmal hierher, ehe der Sheriff kommt und ihn mit Beschlag belegt.“
„Wir wollen suchen!“
Wir suchten schnell, aber gründlich die Schriften durch, doch ohne Resultat. Dann wurde der Koffer noch einmal vorgenommen. Eine heimliche Tasche, ein verborgenes Fach gab es nicht mehr; aber an einer Stelle war, wie wir bemerkten, das leinene Futter losgeweicht und ein Schnitt hineingemacht. Ich griff in den Schnitt und zog drei Papiere heraus; es war weiter nichts darin. Das erste Papier enthielt lauter untereinander gesetzte Namen. Darüber stand: ‚To the Finding-hole‘. Die Namen waren folgende:
Kansas-City, Kansas River, Republican River, Frenchman’s River, Fine Bluffs-Pole Creek, Iron Mountain-Chugwater-Creek, Lake Jone-Laramie-River, Grand Medicine Bow Creek, Platte River, Sweetwater River, Pacific Creek, Big Sandy Creek, Fremonts Peak, Finding-hole.
Das zweite Papier war ein Wechsel auf Sicht auf fünftausend Dollars, ausgestellt von Frank Sheppard und angenommen von Emil Reiter.
Das dritte Papier war höchst interessant. Die darauf stehenden Zeilen lauteten folgendermaßen:
„Geständnis!
Ich, Emil Reiter, erkläre hiermit und an Eides Statt, daß ich vorgestern nachmittag 3 Uhr den Farmer Guy Finell mit einem Gewehre erschossen habe, und verspreche, dem Untersuchungsrichter auf Vorzeigung dieses Zugeständnisses den Mord sofort und ohne Weigerung einzugestehen. – Emil Reiter, Steelsville.“
Das unterzeichnete Datum ging auf nicht ganz ein Jahr zurück. Der Name des Täters erinnerte mich an meinen Musiklehrer, jenen alten, lieben Kantor, welcher meine Motette hatte drucken lassen. Sein Sohn war nach Amerika gegangen und hieß Emil Reiter. Natürlich war das nur ein Zufall, und es gab keinen einzigen Grund, anzunehmen, daß der Schreiber dieser Zeilen der Sohn jenes Kantors und kein anderer Emil Reiter sei.
Was hatte ihn veranlaßt, dieses schriftliche Geständnis niederzuschreiben? Und was hatte der, für den es geschrieben worden war, für einen Grund, es sich geben zu lassen und es aufzuheben, ohne den Mord zur Anzeige zu bringen? War der jetzige Besitzer, also der Prayer-man, diese Person? Wenn er es war, so war die Absicht wohl keine gute! Vielleicht
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