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060 - Der Henker von London

060 - Der Henker von London

Titel: 060 - Der Henker von London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter T. Lawrence
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und heftiger. Plötzlich schlug sie die Augen wieder auf.
    „Ein Gesicht!“ sagte sie erbleichend. „Da ist ein Gesicht, das ich nicht erkennen kann. Es ist da wie eine Erinnerung. Und dann weiß ich, daß ich fror. Innerlich fror. Jemand hat mit mir gesprochen, und ich antwortete. Ja, ich erinnere mich wieder genau daran. Aber so sehr ich auch nachdenke, weiter komme ich nicht. Da ist eine Sperre, eine Konzentrationssperre möchte ich fast sagen. Sobald ich an einem bestimmten Punkt angekommen bin, ist es aus, und ich kann nicht mehr weiterdenken.“ Sie lächelte mich scheu an. „Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein.“
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Es ist keine Einbildung“, flüsterte ich. „Mir geht es seit zwei Tagen ebenso.“
    Irgendwo draußen kläffte hell ein kleiner Hund.
    Eine Weile starrte mich Claudia Haley ungläubig an. Groß und dunkel waren ihre Augen und so tief, als würden sie ihre Seele widerspiegeln. Die schlanken gefalteten Hände auf dem Schoß zitterten leicht, und als sie sprach, klang ihre Stimme wie ein Lied in meinen Ohren.
    „Sie haben das gleiche erlebt, Inspektor?“
    „Etwas Ähnliches“, sagte ich und hüstelte. „Nur daß ich nicht irgendwo in London zu mir kam, sondern immer noch in meinem Bett war.“
    „Und das andere?“
    „Die Stimme, das schemenhafte Gesicht, an das ich mich einfach nicht erinnern kann, die innerliche Kälte … das alles stimmt mit dem, was Sie mir eben berichtet haben, überein.“
    Wieder war es still. Wir blickten uns an. Anders als vor einigen Minuten. Wir waren Verbündete geworden, und mehr noch. Für mich war es mehr. Ich brauchte Claudia Haley nur anzusehen, dann spürte ich tief in meinem Herzen, was anders war: Sie faszinierte mich, und obwohl ihr Mann erst seit ein paar Stunden tot war, sehnte ich mich danach, diese Lippen küssen zu dürfen, diese Hände halten zu können.
    Sie senkte den Blick. Hatte sie es in meinen Augen gelesen? Wußte sie, was in mir vorging?
    „Mrs. Haley“, sagte ich und erhob mich. „Ist es Ihnen recht, wenn ich am Abend noch einmal hereinschaue?“
    Sie stand ebenfalls auf. Sie schien verwirrt, als sie mir ihr bezauberndes Lächeln schenkte.
    „Ich würde mich freuen“, antwortete sie leise.
    Wir standen uns gegenüber, starrten uns an wie zwei verständnislose Kinder. Was war geschehen zwischen uns? Hatte auch hier das unbekannte Etwas seine Hand im Spiel? Wie konnte uns das passieren? Es hatte uns erwischt. Beide. Ich wußte das, und Claudia wußte es auch.
    „Mein Gott!“ sagte sie kaum hörbar. „Und Peter liegt noch in der Garage.“
    Es war schwierig. Atem zu schöpfen; schwierig, kontrollierte Bewegungen auszuführen; schwierig, ihr ruhig gegenüberzustehen. Unsere Augen brannten sich ineinander. Bis sie weinte. Stumm, lautlos. Tränen standen in ihren Augen.
    „Wir können nichts dafür“, sagte ich rauh. „Und wir sollten nicht dagegen ankämpfen.“
    Dann lag sie an meiner Brust und begann hemmungslos zu weinen.
     

     
    Das, was von Peter Haley noch übriggeblieben war, hatte man in einer Zinkwanne fortgetragen. Der Fußboden in der Garage war immer noch voll von Blut, aber jetzt, wo die hellen Scheinwerfer abmontiert worden waren, sah es nicht mehr ganz so schrecklich aus wie vor ein paar Stunden.
    Dan kam mir entgegen. „Wir können wegfahren, John. Was sagt die Frau?“
    „Sie weiß nicht, wie sie nach Soho kam. Plötzlich war sie da. Das gleiche wie bei O’Neil, vermute ich.“
    „Kein Hinweis?“
    Ich schüttelte den Kopf. Dan sah auf die Uhr.
    „Gleich fünf. Was können wir jetzt tun, außer warten?“
    „Nichts“, sagte ich. „Gar nichts.“
    Um halb sechs fuhren wir in die Stadt zurück. Zwei Beamte blieben als Wache am Haus. Das Garagentor war versiegelt worden. Als wir in Scotland Yard ankamen, lagen bereits die ersten vorläufigen Berichte auf dem Tisch. Wir überflogen sie, aber es war nichts darunter, was uns weiterhalf. So saßen wir lange Zeit da, schwiegen oder rätselten herum, ohne daß wir weiterkamen. Um sieben erhob ich mich und ging auf den Flur hinaus, um mir Zigaretten zu holen. Ich wollte gerade ein Geldstück in den Schlitz des Automaten werfen, als ich eine ruhige, fast sanfte Stimme sagen hörte: „Tag, John. Merkst du, wie sie alle Angst bekommen?“
    Ich wirbelte herum, aber es gab nichts zu sehen, außer einem nackten Flur mit vielen geschlossenen Türen. War ich verrückt geworden? Ich hatte die Stimme doch gehört! Nicht gedacht,

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