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060 - Der Henker von London

060 - Der Henker von London

Titel: 060 - Der Henker von London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter T. Lawrence
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nicht erklären.“
    Ich starrte nachdenklich auf meine Schuhspitzen. Irgendwie kam mir Dans Lösung ein wenig zweifelhaft vor. Er brauchte eine und fand eine. Und plötzlich wußte ich, daß Dan sich tatsächlich geirrt hatte. Unmöglich, daß Haley in seiner Angst auf irgendeinen Gegenstand geschlagen hatte. Nicht in dieser Situation. Nicht in dieser letzten Sekunde, von der alles abhing.
    „Stell dir die Bestie einmal vor“, sagte ich leise. „Stell sie dir als Monstrum vor. Und denk dir, sie drückt dir die Kehle zu, flößt dir unvorstellbares Grauen ein. Du kannst dich nicht wehren, spürst, daß es zu Ende geht. Dann holst du aus, zum letzten verzweifelten Schlag. Reißt all deine Kraft zusammen, all deine Energie. Wohin schlägt man in einem solchen Augenblick?“
    Ich starrte zu der hellerleuchteten Garage hinüber. Ein schrecklicher, ungleicher Kampf mußte sich dort in der Nacht abgespielt haben.
    „Glas“, sagte ich rauh. „Auch sein Gesicht besteht aus Glas. Wir haben es mit einem gläsernen Monstrum zu tun, Dan!“
     

     

Claudia Haley war blaß und voll innerer Unruhe, als ich sie am Nachmittag aufsuchte. Ich kannte sie vom Sehen, aber daß sie eine so schöne Frau war, hatte ich eigentlich nie bemerkt. Gerade und aufrecht saß sie mir gegenüber. Ihr flachsblondes Haar hing lang über die Schultern. Ich schätzte sie knapp über Dreißig, und sogar jetzt, nach allem, was sie mitgemacht hatte, war sie bildhübsch.
    „Sie müßten mich kennen“, sagte ich leise. „Ich wohne schräg gegenüber. Mein Name ist Condell. Inspektor John Condell. Ich leite die Sonderabteilung, die diesen mysteriösen Fall behandelt.“
    Claudia Haley schenkte mir ein schwaches, aber warmes Lächeln. „Ich kenne Sie. Ich sah Sie ein paarmal im Garten sitzen. Meistens lasen Sie in einem Buch.“
    Wir schwiegen. Claudia Haley starrte auf ihre Hände. Sie begann still zu weinen. „Dieser Anblick …“, flüsterte sie. „Es war so furchtbar, wie er dalag. Nur noch ein zerfetztes Bündel und mit einem Ausdruck von unermeßlichem Grauen in den Augen; das viele Blut um ihn herum. Was ist das nur für eine Bestie, die einen Menschen so zurichten kann?“
    Sie tat mir leid, unendlich leid. Das grauenhafte Bild würde wohl nie mehr aus ihrer Erinnerung verschwinden. Es war eingeätzt in ihre Gedanken. Unauslöschlich, auf ewig.
    „Wir arbeiten so rasch wie möglich und tun, was in unserer Macht steht. Vielleicht können Sie uns dabei helfen, daß nicht noch mehr Menschen auf diese schreckliche Art sterben müssen.“
    „Ich? Nein, ich glaube nicht, daß ich das kann.“ Sie schüttelte wie abwesend den Kopf. „Ich war ja nicht einmal hier. Heute morgen wurde mir plötzlich bewußt, daß ich in Soho durch die Straßen wanderte. Ich schwöre Ihnen, ich weiß nicht, wie ich dorthin gekommen bin. Völlig verwirrt fand ich mich in einer dieser schäbigen Straßen wieder, in denen die Mädchen in den Hauseingängen stehen und sich verkaufen.“
    „Soho ist sehr weit fort. Haben Sie eine Vorstellung, mit was für einem Verkehrsmittel Sie dorthin kamen?“
    Sie nickte. „Mit meinem Auto. Als ich mich verstört umsah und dann losrannte, weil ich glaubte, nicht mehr ganz richtig im Kopf zu sein, stieß ich auf den Wagen. Er stand verlassen an einer Kreuzung. Der Schlüssel steckte, die Tür war nicht zugeschlossen. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, in den letzten beiden Tagen irgendwann in die Stadt gefahren zu sein. Das einzige, was ich noch weiß, ist, daß ich in der Küche stand und das Abendessen für meinen Mann und mich machte. Dann kommt gähnende Leere bis zu der Minute, als ich in Soho erwachte.“
    Das war merkwürdig. Aber auch O’Neil hatte sein Hotel verlassen und dabei ausgesehen, als lausche er einer fremden Stimme.
    „Haben Sie eine Stimme gehört, die Ihre Gedanken, Ihren Willen beeinflußt haben könnte?“ fragte ich. „Bitte, denken Sie genau darüber nach. Vielleicht kommt Ihnen eine blasse Erinnerung, nur der Schimmer eines Gedankens. Es ist sehr wichtig, daß Sie sich zu erinnern versuchen, Mrs. Haley. Alles kann uns weiterhelfen.“
    Ich schwieg. Von draußen hörte man das gedämpfte Reden der Beamten, die immer noch eine Menge hier zu tun hatten. Claudia Haley schloß die Augen, ihr Gesicht entspannte sich. Wie schön sie ist! dachte ich in diesem Moment. Wie sie dasitzt! Eine Göttin, um die Haley zu Lebzeiten zu beneiden war. Ihre Lippen öffneten sich ein wenig, ihr Atem wurde ruckartig

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