060 - Der Henker von London
anderen Ende. „Was sollen diese Anspielungen?“
Ich starrte aus dem Fenster. Der Himmel war tiefblau. Ein paar weiße Wölkchen hingen wie zerrupfte Wattebäusche darin, und über allem stand die Sonne. Strahlend, hell, klar, warm.
„Vielleicht hat sich Ihre Frau nicht das Leben genommen“, sagte ich leise. „Es könnte doch sein, daß Sie …“
„Verrückt!“ unterbrach mich Ascorda. „Sie müssen völlig verrückt sein! Ich habe ein Alibi, der Fall ist abgeschlossen und zu den Akten gelegt worden. Es war ganz eindeutiger Selbstmord!“
„Das sagen Sie“, antwortete ich, und plötzlich klang meine Stimme sanft und einlullend. „Aber glaubt das auch der Henker?“
„Der Henker!“ Ascorda lachte hysterisch. „Der Henker ist tot! Mausetot! Ein für allemal, Inspektor! Sie selbst haben ihn zur Strecke gebracht! Es gibt keinen Henker mehr!“
Ich legte den Hörer sanft in die Gabel zurück. Als ich mich erhob, um zum Fenster zu gehen, drückte das Rasiermesser in meiner Hosentasche leicht gegen das Bein. Der Gurgel-Killer! Lächerlich! Sie würden sich einen anderen Namen einfallen lassen müssen!
Ich trat ans Fenster, sah lange Zeit hinaus. Die alte und die neue Welt, dachte ich und blickte auf meine Hände. Schlanke, schmale Hände, die jetzt ein wenig von der Sonne gebräunt waren. Früher wäre ein Mann mit solchen Händen nie zum
Henker ernannt worden …
Wieder sah ich hinaus in den sattblauen Himmel, der über der Stadt hing mit seinen Wölkchen darin, die wie zerrupfte Watte aussahen. Ich spürte die Sonnenstrahlen auf meiner Haut, ihre Wärme, ihre Existenz. Kraft, die Leben machte. Die Energie und Wärme gedeihen ließ.
Ja, das war Leben; Leben, Fühlen, Sehen – und Richten.
John war zäh gewesen. Aber nicht zäh genug. „Danke“, flüsterte ich. „Danke, John …“
ENDE
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