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060 - Der Henker von London

060 - Der Henker von London

Titel: 060 - Der Henker von London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter T. Lawrence
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im Zimmer schmerzte tief in meinem Hirn. Undeutlich sah ich Claudia vor mir. Eine verschwommene, aber schöne Vorstellung. Einer Fee gleich sah sie zu mir herab, lächelte, strich mir über meine kalte Stirn.
    „Claudi“, flüsterte ich. „Ich liebe dich, Claudia. Mein Gott, wie ich dich liebe!“
    Das Gesicht wurde unschärfer, verschwamm vollends. Dunkelheit, nichts als unvorstellbare Dunkelheit in meinem Kopf. Ich versuchte Licht in meine Phantasie zu bringen, wollte mir etwas Freundliches, Schönes, Helles vorstellen. Nichts. Es war einfach nichts zu machen, mein Gehirn nahm den Befehl nicht auf, das Bewußtsein verweigerte ihn, blockierte, wurde zu einem eigenen Ich.
    Plötzlich tauchte das Bild von O’Neil in dieser rabenschwarzen Finsternis auf. Ein angstverzerrtes, grobes Gesicht. Ja, es war gut, daß er gestorben war. Ein Mörder, nichts als ein gemeiner Mörder! Der Polizist, den er erschossen hatte, war ein einfacher, braver Mann gewesen, der seit zwanzig Jahren fast täglich seinen Dienst versehen hatte. Er hinterließ eine weinende Frau, zwei verständnislose Kinder. Und O’Neil war entkommen, hatte sich ins Fäustchen gelacht.
    Und Haley? Ein hinterlistiger Mörder! Ich hatte den alten McGrees ziemlich gut gekannt. Ein seltsamer Kauz war er wohl gewesen, der alte Mann mit seinen Heckenrosen. Aber irgendwie liebenswert, hilfsbereit. Er hatte ein Vermögen zusammengespart. Vielleicht, um den Großteil einem Waisenhaus zu vererben, oder um ein Altersheim bauen zu lassen. Es hätte zu ihm gepaßt. Dann war Haley gekommen, zwang den Alten irgendwie, das Testament zu ändern und brachte ihn um. Haley, diese kleine Kreatur, Büroratte, die es nie zu etwas gebracht hatte!
    Oder Donald Reiter, hinterhältiger Wolf, von dem jeder wußte, daß sein Weg nach oben mit Leichen gesäumt war. In Soho war er groß geworden, in Soho war er zugrunde gegangen. Sie verdienen alle den Tod, diese elenden, hinterlistigen Mörder, die heute angstwinselnd Geständnisse ablegten, um sie sofort zu widerrufen, wenn man das gläserne Monstrum getötet hatte. Schleimige Kreaturen, immer nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Leute, die alte Frauen erwürgten, weil diese ein bißchen Geld zum Einkaufen im Geldbeutel hatten. Sollten sie doch alle sterben!
    Ich fror. Ich spürte wie ich fror. Innen und außen. Ich wollte mich bewegen, mich zudecken, aber die Schmerzen in den Gliedern waren so stark, daß ich schon bei der kleinsten Bewegung aufschrie. Das ist Tod, dachte ich. So ungefähr muß er sein, sich anfühlen. Man liegt da, spürt, daß man stirbt und ist ohnmächtig, etwas dagegen zu tun.
    „Guten Abend, John …“
    Nein! Nicht jetzt, nicht hier, nicht in diesem Augenblick! Ich kannte sie, diese Stimme. Wie gut ich sie kannte! Ich schloß die Augen. Einbildung! schrie ich stumm in mich hinein. Du bildest dir sie ein!
    Schwärze vor meinen Augen, trotz des Lichtes im Raum. Ich versuchte mir das Meer vorzustellen, Sonne, weißen Strand. Versuchte mich darin zu finden, irgendwo in einem Strandkorb neben Claudia. Die Finsternis fraß sich in mein Hirn. Keine Sonne, kein Meer, keine Claudia. Nur tiefe Schwärze. Nicht eine schwarze Fläche, sondern es war räumlich vorstellbare Dunkelheit. Sie hatte Tiefe, Höhe, führte ins Unendliche.
    „Ich kriege dich“, flüsterte die Stimme. „John, du kämpfst gegen mich, aber ich kriege dich!“
    Ein heller Fleck in der Schwärze wie ein milchiger, zerrissener und hauchdünner Nebel. Er verformte sich, bildete sich aus dem Nichts zu einer Silhouette. Deutlich erkannte ich eine Nase, den Mund, etwas undeutlicher die Augen. Das Gesicht hing einfach da in einer seelenlosen Finsternis, starrte mich an. Dann verzogen sich die Lippen zu einem spöttischen Lächeln.
    „Du entgehst mir nicht“, flüsterten diese Lippen. „Niemand entgeht mir, John. Hörst du, niemand!“
    Ich riß die Augen auf, um der Dunkelheit meiner Gedanken zu entfliehen. Das helle Licht sollte mich in die Wirklichkeit zurückbringen. Ich war doch krank. Hatte Schmerzen. Vielleicht lag ich im Fieber?
    Die Dunkelheit blieb auch bei geöffneten Augen. Das Licht war gelöscht worden! Irgend jemand befand sich im Raum, hatte die Lampe ausgeknipst. Und da schwebte sie wieder heran, die lächelnde Fratze, die aus Dünsten und Nebeln zu bestehen schien. Auch die Augen sah ich jetzt klar. Eine starke Kraft ging von ihnen aus. Alter und Weisheit las ich in ihnen, so, als hätten sie das Leid von Jahrhunderten zu sehen

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