060 - Der Henker von London
allen Zeichen der Altersschwäche in den Knochen.
„Ich hoffe, es geht vorbei“, sagte ich leise. „Aber im Augenblick komme ich mir vor wie ein neunzigjähriger Mann. Was gibt’s im Büro Neues? Habt ihr schon eine Spur?“
„Nichts“, war die ernste Antwort. „Nur ein neuer Mord. Ein Zuhälter aus Westend. Eines seiner Mädchen hat ihn in der Badewanne gefunden. Der Mann war völlig ausgeblutet. Sonst alles wie bei den anderen Opfern.“
„Herrje!“ sagte ich und stöhnte auf. „Ausgerechnet jetzt muß ich das Bett hüten. Höre ich von dir, wenn’s was Neues gibt?“
„Klar“, antwortete Dan, und nach einer kleinen Pause: „Der Sergeant hat deinen Arzt schon angerufen. Wird wohl bald bei dir sein.“
„Danke“ sagte ich leise, weil mir eine plötzliche Übelkeit den Gaumen zuzog. „Bis bald, Dan.“
„Bis bald. Und gute Besserung.“
Ich ließ den Hörer in die Gabel fallen, wankte zum Bett zurück. Drei, vier Meter noch. Meine Beine zitterten vor Schwäche, meine Knie schienen aus Gummi zu sein, dann kippte ich um. Milde, bodenlose Ewigkeit nahm mich auf, tauchte mich in Vergessenheit.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Bett. Dr. Tracy stand über mich gebeugt da und wiegte bedenklich sein Haupt.
„Sie haben sich überanstrengt“, sagte er vor sich hin. „Für Sie gibt’s jetzt nur noch eines: ausspannen, erholen und nicht einen einzigen Gedanken mehr an Ihren Beruf verschwenden. Sie müssen abschalten, Inspektor. Völlig. Sonst sehe ich ehrlich gesagt ziemlich schwarz für Ihre Gesundheit. Jeder Mensch hat nur ein Herz. Vergessen Sie das nie.“
„Was habe ich denn eigentlich?“ fragte ich mühsam. „Von was kommt diese verdammte Schwäche? Andere stehen von morgens bis abends im Bergwerk und brechen nicht zusammen.“
„Auch ein seelischer Knacks kann eine Krankheit auslösen, Inspektor. Vielleicht wollen Sie auch unbewußt gar nicht gesund sein; vielleicht möchten Sie krank sein, bewegungslos.“
„Unsinn, genau das Gegenteil ist der Fall! Auch im Unterbewußtsein.“
Der Arzt lächelte.
„Ich staune, wie Sie Ihr Unterbewußtsein kennen. Sie dürften damit so gut wie allein auf der Welt stehen. Machen Sie sich nur nichts vor, Inspektor. Es gibt tausend Dinge, die Ihre Schwäche ausgelöst haben können. Ehe wir das aber ergründen werden und ich Sie dafür zu einem Spezialisten schicke, brauchen Sie erst einmal Ruhe, viel Ruhe. Sie müssen ausschlafen, sich entspannen und abschalten. Ihre Muskeln sind völlig verkrampft, die Gelenke waren nicht einmal in Ihrer Ohnmacht locker und gelöst. Ich staune, wie Sie überhaupt zum Telefon kamen.“
Ich stieß einen leisen Seufzer aus, weil ich es jetzt selbst nicht mehr wußte. „Was können wir tun?“ fragte ich schließlich. „Ich meine außer schlafen?“
„Heute nichts. Ich werde Ihnen nachher meine Assistentin schicken, die wird sich um Sie kümmern. Jetzt bekommen Sie erst einmal eine Spritze, und sobald es Ihnen bessergeht und Sie sich kräftiger fühlen, werde ich einen guten Masseur kommen lassen. Der wird Ihre verknoteten Muskeln schon wieder zurechtkneten.“
Er lächelte mir zu, trat dann zurück ans Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. Plötzlich stieß er einen überraschten Ruf aus.
„Nanu, Inspektor. Haben Sie sich verletzt?“ fragte er.
Ich war verwirrt, sah erstaunt zu ihm hinüber. „Warum?“
„Wegen des Blutes hier im Becken. Alles ist beschmiert.“
Blut in meinem Waschbecken? War er verrückt, oder war ich es? Ich war doch gestern, nachdem ich von Claudia gekommen war, todmüde und wie erschlagen ins Bett gefallen! Wie, zum Teufel, kam das Blut ins Waschbecken?
„Ein Freund hat sich gestern bei mir an der Hand verletzt“, sagte ich lahm. „Ich kam noch nicht dazu, das Becken sauberzumachen.“
Dr. Tracy sah mich stumm und nachdenklich an.
„Die Assistentin wird es säubern“, sagte er dann langsam. „Ich werde ihr Bescheid sagen.“
„Danke“, erwiderte ich und wußte, daß er mir meine Lüge nicht glaubte.
Blut, dachte ich. Wie kommt Blut in das Becken?
Eine Stunde später kam die Krankenschwester. Es war das gleiche Mädchen, das ich schon bei Claudia kennengelernt hatte. Sie sah mich sonderbar an, reinigte das Becken und kochte mir einen Brei, der mich angeblich stärken sollte. Um halb eins rief mich Claudia an.
„John?“
„Ja“, antwortete ich und versuchte meiner Stimme einen festen Klang zu geben. „Wie geht’s dir?“
„John!“ rief sie
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