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060 - Der Henker von London

060 - Der Henker von London

Titel: 060 - Der Henker von London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter T. Lawrence
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bekommen.
    „John?“
    „Ja.“ Meine Stimme klang wie die eines Roboters. Mechanisch, unwirklich und entsetzlich leidenschaftslos.
    „Sieh mich an!“
    Ich starrte in das Gesicht. Irgendwo im letzten, noch mir selbst gehörenden Kämmerlein meines Gehirns dämmerte es mir, daß ich dieses Gesicht von irgendwoher kannte. Diese Züge, dieses Lächeln! Nur die Augen störten. Irgendwie gehörten sie nicht hinein in das Gesicht, waren Fremdkörper. Die Stimme kicherte.
    „Ich bin die alte und die neue Welt“, flüsterte sie dann. „Irgendwann wirst du diesen Satz verstehen, John. Du wirst ihn verstehen, wenn ich dich besiegt habe, wie ich alle anderen besiege. Aber noch bist du stark, John. Dein Haß war es, der mich zu dir führte. Dein Haß gegen das Böse, gegen das Verbrechen. Wir sind Verbündete, John.“
    „Nein!“ rief ich aufstöhnend und spürte im gleichen Augenblick, daß das Wort wie eine Luftblase aus meiner Brust gekrochen kam. Starr und regungslos lag ich da. Die Schmerzen waren gewichen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich kam mir vor, als wäre ich in hartes, festes Eis gegossen worden.
    „Du hörst mich, John?“
    Es ist nur noch Hören und Sehen. Kein Fühlen mehr, kein Empfinden. Es gibt kein Ich, keine Seele, keinen Gedanken, keine Erinnerung.
    Haß. Doch, es gibt noch Haß.
    „John!“
    Die Ohren nehmen es auf. Leiten weiter. Der Körper erhebt sich aus dem Bett. Keine Dunkelheit kann stören. Kein Licht kann blenden. Haß läßt sich nicht blenden …
    „Komm zu mir, John! Ich erwarte dich!“
    Die Ohren hören es, die Augen durchdringen das Dunkel. Da ist die Tür, dahinter die Treppe. Die Beine bewegen sich. Der Körper nähert sich dem Fenster. Heller Mond. Keine Wolken mehr. Triumphierendes, unmenschliches Glitzern in den Augen. Haß lebt. Lebt in die Ewigkeit hinein. Der Haß ist stark. Er kann sich bewegen, gehen, hören, sehen …
    Als das Mondlicht auf die Haut fällt, glitzert sie wie ein zugefrorener Teich. Es knirscht leise, als eine Hand an der Mauer entlang streift.
    „John, du wirst heute wieder richten! Komm her zu mir, du Henker der Gerechtigkeit. Die Menschen brauchen dich.“
    Die Ohren hören es. Kalte, harte Lippen öffnen sich.
    „Ja …“, rollt es dumpf wie eine Luftblase aus der Brust. „Ich komme, Herr.“
    Der Unheimliche schlurft die Treppe hinab.
     

     
    Das Läuten des Telefons riß mich aus dem Schlaf. Ich fuhr in die Höhe, fiel aber sofort wieder stöhnend auf das Bett zurück. Ein siedendheißer Schmerz war mir durch die Wirbelsäule gefahren. Ich versuchte mich ein zweites Mal aufzurichten. Vorsichtiger, behutsam. Ganz langsam stemmte ich mich hoch, drehte mich zur Seite, hob die Beine aus dem Bett.
    Als ich schließlich am Telefon war, schmerzte mir jeder einzelne Muskel. So schlimm hatte ich mich noch nie gefühlt. Es war die Vorstufe der Hölle. Oder bereits die Hölle selbst.
    „Condell“, sagte ich, aber nur ein Krächzen kam über meine Lippen. Ich hustete ein paarmal, wobei mir vor Schmerzen fast die Beine unter dem Körper wegknickten. „Hier Condell“, sagte ich noch einmal in die Sprechmuschel.
    „Sergeant Potter, Sir“, kam es zurück. Und dann mit besorgt klingender Stimme: „Es ist zehn Uhr, Sir. Und nun Ihre Stimme – sind Sie krank?“
    Ich wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Krank ist eine leichte Untertreibung. Mir ist, als habe mir jemand sämtliche Knochen im Leib mitsamt den Sehnen einmal um die eigene Achse gedreht.“
    „Haben Sie schon einen Arzt kommen lassen?“
    „Nein, ich bin erst durch Ihr Läuten aufgewacht. Würden Sie für mich vielleicht Dr. Tracy aus Sanderstead anrufen? Das ist der Hausarzt von Mrs. Haley. Er möchte mal nach mir sehen.“
    „Selbstverständlich“, sagte Potter hastig. „Aber glauben Sie nicht, daß es besser wäre, statt diesen Landarzt einen fähigen Mann von hier zu Ihnen zu schicken?“
    „Ich kenne Dr. Tracy“, erwiderte ich mühsam. „Und ich weiß, daß er was taugt. Außerdem kann er schneller hier sein als einer aus der Stadt. Mir geht es hundsgemein schlecht.“
    Eine Sekunde lang war es still in der Leitung, dann sagte Potter: „Inspektor Reed würde Sie gern noch einen Augenblick sprechen, Sir.“ Einen Moment später war Reeds Stimme schon zu hören:
    „Du, John, ich habe eben mitgehört. Glaubst du, daß es was Ernstliches ist?“
    Ich starrte an mir herunter, wie ich auf wackligen Beinen dastand, zitternd wie ein Greis, und mit

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