060 - Jenseits der Dämmerung
Sinn, und die Fragen, die manchmal wie flüsternde Stimmen am Rande seines Geistes auftauchten, verschwanden in der lustvollen Gier nach Blut. Dann fühlte der Mol sich leicht und frei, geborgen in der Gewis sheit, dass die Melodie der Sucher ihn zu seinem Ziel führen würde.
So war es auch heute, als er aus den Tunneln emporstieg und in den Schlamm eintauchte. Wenn man wie er aus der Nacht kam, dann schmerzte der Tag unerträglich in den Augen. So mussten er und die Sucher warten, bis die lange Helligkeit verging und sie endlich jagen konnten.
Der Mol verabscheute den Schlamm. Er verklebte die Ohren und die Nase, machte ihn taub für seine Umwelt und angewiesen auf die Gesänge der Sucher. In den weiten Ebenen hörte und roch er seine Beute, lange bevor sie ihn sehen konnte, aber für eine Jagd dort war die Zeit bis zur Helligkeit zu kurz. Und so musste er sich in den Schlamm wagen, auch wenn es ein unangenehmes Unterfangen war.
Die Melodie des Suchers steigerte sich, zeigte dem Mol an, dass Beute nahe war. Mit seinen mächtigen Schaufeln durchwühlte er den Schlamm, schob ihn wie eine Bugwelle vor sich her. Sand und Steine knirschten zwischen seinen Reißzähnen, die begierig darauf warteten, endlich wieder frisches warmes Fleisch zu spüren.
Die Erwartung spornte den Mol zu noch größeren Geschwindigkeiten an. Seine Hinterpfoten stießen sich ab, katapultierten seinen Körper aus dem Schlamm einer Beute entgegen, die er noch nicht einmal sehen konnte. Nur die Melodie des Suchers leitete ihn, führte ihn unfehlbar zu einem Schemen, der aus der Dunkelheit aufragte.
Der Mol erinnerte sich an die Schreie, die panische, wenn auch sinnlose Flucht seiner letzten Opfer und spürte, wie seine Zunge bei dem Gedanken zu kribbeln begann. Kraftvoll richtete er sich auf, schüttelte den Kopf und atmete die kalte Nachtluft tief ein. Dann richtete er seinen verschwommenen Blick auf die Silhouette, die reglos vor ihm stand.
Manchmal, das hatte der Mol schon auf früheren Jagdzügen erlebt, war die Beute wie erstarrt vor Angst und ließ sich mit einem Schlag töten. Es gefiel ihm nicht, wenn das passierte.
Diese besondere Beute jedoch war nicht vor Angst erstarrt. Ihre Körperhaltung war entspannt, beinahe friedlich, und die Angst, die die Sinne des Mols reizte, fehlte. An ihrer Stelle lag ein anderes Gefühl auf seiner Zunge, kein Kribbeln, sondern etwas Heißes, Fiebriges, das wie eine Krankheit nach ihm griff.
Der Mol wich zurück. Eine Aura der Fäulnis umgab die Beute, hüllte ihren Geist ein, so wie der Schlamm seinen Körper bedeckte. Er spürte, wie sein Fell sich sträubte, und wischte angeekelt die Nase an seinen Pfoten ab. Dann tauchte er, das überraschte Fiepen ignorierend, zurück in den Schlamm. Der Sucher sah nur den gesunden Körper der Beute, aber nicht das verrottete Innere, für das auch der Mol keine Erklärung hatte. Nur eines wusste er sehr genau: Eher wäre er verhungert, als dieses Wesen zu fressen.
Rasch kroch er davon, brachte so viel Entfernung wie möglich zwischen sich selbst und den Wahnsinn, den er Fäulnis nannte.
Aruula ahnte, dass sie Glück gehabt hatte. Auf ihrem Weg zurück zum Gleiter war sie mehrmals Erdhörnchen begegnet, hatte jedoch nicht deren Aufmerksamkeit erregt. Stattdessen waren die Tiere an ihr vorbei in Richtung Hafen gelaufen – zu Maddrax, wie eine kleine böse Stimme in ihrem Inneren flüsterte.
Aruula ignorierte die Stimme, wusste, dass es keinen Sinn machte, ihrer Sorge unbewaffnet nachzugeben. Selbst wenn sie es getan hätte, die Geschwindigkeit, mit der die Angreifer zuschlugen, war so groß, dass sie ohnehin zu spät gekommen wäre.
Es schien Stunden zu dauern, bis sie endlich die Gleiter erreichte. Beide Maschinen standen unverändert an ihren Plätzen, aber Aiko, der sie eigentlich hätte bewachen sollen, war in der Dunkelheit nirgendwo auszumachen. Aruula griff in einen der Gleiter und nahm ihr Schwert an sich. Die gewohnte Schwere des Metalls beruhigte sie und vertrieb die Hilflosigkeit, die sie in den letzten Stunden gespürt hatte – zumindest ein wenig.
Sie verdrängte den Gedanken an ihre fehlenden Fähigkeiten und blieb neben dem Gleiter stehen.
»Aiko?«
Der Ruf verhallte zwischen den Häusern. Aruula hörte keinen Laut und sah keinen Hinweis darauf, dass irgendjemand in der Stadt zurückgeblieben war. Auf ihrem Weg war sie niemandem begegnet, nur dem zerschmetterten Körper eines Mannes, der vermutlich vom Dach gefallen und unter einen
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