0602 - Brutstätte des Bösen
mehr wissen.«
Rosa schluckte und nickte. »Es ist nicht einfach. Ich… ich muß weit zurückgreifen.«
»Bitte, ich höre zu.«
»Ich kann nur das sagen, was ich hörte. Es muß zur Zeit der Urkirche gewesen sein, der ersten Christen, die sich dort, wo das Kloster jetzt steht, versteckt hielten. Sie hatten sich eingegraben in den Katakomben, den alten Gängen, um vor der Verfolgung sicher zu sein. Die Römer haben sie nicht erwischen können, aber ein schrecklicher Dämon fand den Weg, der aus dem Kreuz eine Schlange machte und es verhöhnte. Es war das Kreuz der Christen, aber sie schafften es, sich zu wehren. Sie schlossen den Dämon ein.«
»Du meinst das Kreuz?«
»Ja, die Schlange.«
»Und weiter…«
»Sie versiegelten das Tor, damit das Böse nicht mehr freikommen konnte. Aber jemand brach das Siegel auf. Immer wieder hatte das Böse versucht, sein Gefängnis zu verlassen, es war ihm nicht gelungen, bis zu dem Tag, als das Höllentor geöffnet wurde. Ich spürte es, ich merkte, wie es von mir Besitz ergreifen wollte, aber ich konnte mich noch wehren. Manchmal steckt es in mir, da werden die Rosen zu Staub, dann wiederum geht es mir gut, da kann ich es bekämpfen. Aber es ist schlimm, und es wird immer schlimmer, wenn es sich ausbreitet. Das Böse ist überall, es läßt sich nicht mehr stoppen.«
»Jetzt sind wir da.«
Rosa hob die Schultern. »Ich weiß auch nicht, ob es nur die Schlange ist, denn man spricht von einem fürchterlichen Dämon, der noch in den Tiefen stecken soll. Pater Marinus hat es mir einmal erzählt. Er sprach davon, daß es nicht nur die Schlange ist. Sie muß mit jemandem zusammen sein, der ihr half.«
»Hat er gesagt, um wen es sich handelt?«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Und du hast auch nicht gefragt?«
Rosa senkte den Kopf. Mit den ausgestreckten Fingerspitzen fuhr sie durch staubige Grashalme. »Doch, ich habe einige Male gefragt, aber keine richtige Antwort erhalten. Alles lief schief, ich hatte den Eindruck, als wollte er mir nichts sagen. Das schreckliche Geheimnis muß in der Vergangenheit gefangen liegen.«
Glenda lächelte. »Keine Sorge, wir werden es schon lüften, wenn wir im Kloster sind.«
Da erschrak Rosa. »Du willst hin?«
»Natürlich.«
»Das wird kaum möglich sein.«
»Weshalb nicht?«
»Weil… weil …« sie schluckte. »Weil der Abt es nicht zulassen wird. Er haßt Fremde.«
»Das kann uns nicht davon abhalten, keine Sorge. Und mögen die Mauern noch so dick sein.«
»Wenn sie nicht wollen…«
»Werden wir sie zwingen. Die Mönche müssen einfach einsichtig sein, denn hier geht es um existentielle Dinge.«
»Um was, bitte?«
»Schon gut. Eine andere Frage. Hast du das Kreuz, das zur Schlange wird, schon zu Gesicht bekommen? Konntest du es sehen?«
»Ja, einige Male«, lautete die stöhnend gesprochene Antwort. »Da… da habe ich es erkannt.«
»Wann war das?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich merke es in meinem Kopf. Es kommt plötzlich über mich.«
»Wie in der Kapelle?«
»Stimmt, stimmt. Da war es auch so. Auf einmal…«
»Dann müßte es ja unterwegs sein.«
Rosa schlug die Hand vor den Mund. »Rede nicht so etwas, bitte, halte dich zurück.«
»Aber es ist die Wahrheit!«
»Schon… schon … nur ist es gefährlich, wenn man darüber redet. Ich habe das …« Rosa sprach nicht weiter. Sie saß still, stand dann ruckartig auf und pflückte eine Blume.
Auch Glenda war nicht sitzen geblieben. Sie ahnte, daß etwas Ungewöhnliches passierte und behielt das junge Mädchen unter Kontrolle. Rosa stand an einem Strauch. Auf ihrer Handfläche lag die Rose wie ein kostbares Juwel.
Glenda ging auf sie zu. »Ist es eine Botschaft, die du empfangen hast, Rosa?«
Sie duckte sich. »Das Kreuz… es ist sehr nahe …« Ihre Haare, noch vor zwei Sekunden glatt nach unten hängend, richteten sich plötzlich auf, als würden nicht sichtbare Hände an den Spitzen zerren.
Es war wie in der Kapelle, vielleicht eine Idee schlimmer, denn Rosa begann leise zu schreien. Es tat Glenda beinahe schon weh, als sie die Laute hörte. Sie sah keine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun.
John Sinclair besaß das Kreuz, nicht sie.
Hinter Rosa wuchs das staubige Gebüsch hoch. Die Blätter bewegten sich, denn ein plötzlicher Windstoß fuhr hinein. Nicht warm, eher kühl und kalt strich er über die Haut.
»Was ist denn, Rosa? Was ist?« Sie wollte vorgehen und das Mädchen anfassen.
»Nein!« kreischte sie, schaute auf ihre Hand, wo die Blume
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